Öffne deine Seele (German Edition)
wir wissen . Nur selten sind die Dinge so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. In unserer Seele sind sie miteinander verwoben, und es erfordert alle Sanftmut und alle Beharrlichkeit, um uns diese Verbindungen bewusst zu machen.»
«Beharrlichkeit, Meister, ja. Aber deine Sanftmut ist zu oft ausgenutzt worden von Menschen, die es nicht verdient haben. Ich werde es nicht länger hinnehmen, wie sie missbraucht wird. Ich bin Justus, das Werkzeug deiner Gerechtigkeit. Für alle deine Freunde, für jeden Anrufer existieren Regeln, die für uns alle gelten. Auch für dich selbst, Meister. Wir lügen nicht. Wir fluchen nicht. Und wir halten uns an die Vereinbarungen, die wir miteinander getroffen haben.»
Marius öffnete den Mund, doch die Stimme sprach schon weiter.
«Der Ehemann. Der Liebhaber. Nun der Polizist. Kannst du mir mit Sicherheit zusagen, dass er der Letzte sein wird, den du auf diese Weise befragst? Dass Hannah uns im Anschluss an diese Befragung Rede und Antwort stehen wird – auf sämtliche Fragen, die du im Verlaufe dieses Abends aufgeworfen hast? Kannst du das versprechen?»
«Das lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur schwer …»
«Kannst du das versprechen?»
Das Pochen in Albrechts Hinterkopf verstärkte sich.
«Ja», sagte Marius hastig. «Ja. Das verspreche ich.»
«Dann soll Hannah diese letzte Chance bekommen. Der Polizist soll dir antworten. Jetzt.»
Albrecht spürte, wie Marius an seiner Seite einatmete.
«Gut», murmelte der Moderator. «Gut …»
Langsam drehte er sich in Albrechts Richtung.
Sie sind bereit? Er sprach die Frage nicht aus. Sie sprach aus seiner Haltung.
Albrecht nickte fast unmerklich.
Marius holte Luft. «In unserer Gesellschaft verbringen Menschen den größten Teil ihres Lebens an ihrem Arbeitsplatz, Hauptkommissar Albrecht. Und von unserer Freundin Hannah wissen wir bereits, dass sie die Tätigkeit auf dem Kommissariat nicht als Last empfunden hat, sondern als Berufung. Als den eigentlichen Kern ihres Lebens. Sie, der Sie dieses Kommissariat leiten und Hannah Friedrichs’ wichtigster Ansprechpartner sind, in sämtlichen Lebenslagen, privat wie beruflich …»
Albrechts Augenbrauen wanderten in Richtung Haaransatz.
«Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben, Hauptkommissar? Ihr Verhältnis zu Ihrer wichtigsten Mitarbeiterin?»
«Unser Verhältnis?»
«Glauben Sie, dass Hannah ein Vorbild in Ihnen sieht?», half der Moderator. «Als Ermittler? Als Mensch? Eine moralische Autorität? Ist es vielleicht sogar möglich, dass sie in Ihnen, der fast eine Generation älter ist als sie, ein wenig jenen Vater sieht, der in den prägenden Jahren ihres Lebens so oft durch Abwesenheit glänzte? Wir haben ja bereits herausgearbeitet, dass sich zumindest eine Seite ihres Wesens zu autoritären Figuren hingezogen fühlt. Könnte es sein, dass solche Strukturen – selbstverständlich auf einer vollkommen anderen Ebene als bei Dr. Merz – auch im Verhältnis zu Ihnen eine Rolle spielen?»
Albrecht hätte den Mann zerquetschen können, schon für den Tonfall, in dem er seine obskuren Vermutungen vortrug.
Doch das würde nichts ändern.
So widerwärtig die Vorstellung auch war: Marius wollte helfen.
Nur aus einem einzigen Grund hielt sich Justus noch zurück: ein Blick in die menschliche Seele? Eine Hilfe für den jeweiligen Menschen, der Marius um Rat fragte?
Pustekuchen!
Justus wartete auf eine Show – auf ein Seelenmassaker.
Und es gab zwei Möglichkeiten, wie dieses Massaker stattfinden konnte. Entweder nach Justus’ Methode oder nach der Methode, mit der sein angebeteter Meister seit Jahren arbeitete.
Eine Vernichtung der Seele. Nichts durfte verborgen bleiben. Selbst das, was ein Mensch als innerste Geheimnisse in den dunkelsten Tiefen seines Geistes hütete, kaum selbst anzublicken wagte, musste ins grelle Licht gezerrt und den Blicken der gaffenden, geifernden Meute preisgegeben werden.
Und Justus, dem Richter. Dem Werkzeug der Gerechtigkeit.
Solange dieser Prozess im Gange war, hielt er still.
Endete er, wartete nur noch der Tod auf Hannah Friedrichs.
Eine Show , dachte der Hauptkommissar. Bieten wir ihm eine Show .
«Unser Verhältnis …» Er räusperte sich. «Unser Verhältnis in den letzten Jahren würde ich als gut und kollegial bezeichnen. Vertrauen. Das Verhältnis zu meinen Mitarbeitern war immer von Vertrauen geprägt. Einer konnte sich auf den anderen verlassen, und natürlich konnten sich auch alle auf mich verlassen. Darauf,
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