Öffne deine Seele (German Edition)
ich.
«Hannah, ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, und ich bete, dass Sie diese Entschuldigung am Ende werden akzeptieren können, trotz allem, was geschehen ist.»
«Ich … ich werd’s versuchen», murmele ich.
«Hören Sie mir erst zu!» Er räuspert sich. «Sie haben mich Sonntagnacht nach Blankenese begleitet. Ich habe Ihnen zunächst nicht erzählt, dass mir die Sieverstedts bereits bekannt waren, weil ich Ihre Sicht auf die Familie hören wollte. Die Sicht eines … gewöhnlichen Hamburgers.»
«Kein Problem.»
«Dass mir die Familie vertraut war, müssen Sie dann aber spätestens begriffen haben, als wir uns mit der Konsulin unterhalten haben. Und in Wahrheit … In Wahrheit ist es tatsächlich vor allem Elisabeth Sieverstedt, die mir …» Ein deutliches Luftholen. «Vor fünfzehn Jahren habe ich die Ermittlungen in einem komplizierten Fall geleitet: Konsul Sieverstedt war verschiedene Male bedroht worden, und die Schritte, die die Täter unternahmen, ließen keinen Zweifel, dass es sich nicht um leere Drohungen handelte. Wir haben daher gewisse Vorkehrungen getroffen. Wie solche Schritte aussehen, wissen Sie ja selbst …»
Ich versuche ein Nicken, so gut es meine Verschnürung zulässt.
Von Richtmikrophonen bis zur Rund-um-die-Uhr-Überwachung gibt es viele Möglichkeiten. Unter Umständen sogar so, dass derjenige, der beschützt werden soll, das überhaupt nicht mitbekommt.
«Jedenfalls bekam ich einen gewissen Einblick, auch in das Leben der Konsulin.» Wieder holt er Luft. «Sie war eine faszinierende Frau, schon damals. Zerbrechlich und doch sehr, sehr stark zugleich. Eine Frau mit Haltung. Die Art, wie sie ihre Situation ertrug …»
«Sie meinen: die Drohungen?»
«Nein. Nicht nur … Sie wurde …»
Er verstummt.
«Nein», murmelt er. «Nein. Es tut mir leid, mehr, als ich überhaupt aussprechen kann. Wenn es allein um mich ginge, aber …»
«Hauptkommissar?», mischt Marius sich ein. «Als leitender Ermittler müssen Sie doch sicher häufig vor Gericht aussagen. Meines Wissens gibt es da doch diese Formulierung: die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Nun, unser Freund Justus könnte zu Recht darauf hinweisen, dass wir uns auch gegenwärtig in einem juristischen Verfahren befinden. Schuldig oder unschuldig – die guten, alten Polaritäten. Tod oder Leben. Es ist nur ein schmaler Grat, der sie voneinander trennt, Hauptkommissar: die Wahrheit.»
Albrecht gibt ein Geräusch von sich, das vollständig ohne Worte auskommt.
Es ist ein Schnauben.
Dieser Mann ist Jörg Albrecht. Nur aus diesem Grund kann es kein tief in der Kehle unterdrücktes Schluchzen sein.
«Ihr Mann hat sie geschlagen», sagt er leise. «Was mit dem eigentlichen Gegenstand unserer Ermittlung nichts zu tun hatte. Doch ich wusste es, und ich konnte nicht … ich konnte nicht darüber hinwegsehen. Als Ermittler nicht und auch nicht als Mann. Ich … Wir kamen uns näher, und …»
«Justus?» Wieder ist es Marius, der sich zu Wort meldet. Unwillkürlich entsteht ein Bild in meinem Kopf, das mit Sicherheit nicht der Wahrheit entspricht, und doch hört er sich ganz genauso an: wie ein Kinozuschauer, der mit einer Popcorntüte in der Hand Jörg Albrechts Lebensbeichte verfolgt.
Unverstellter Voyeurismus.
Wie die Millionen vor den Fernsehern.
«Meister?»
«Ich wollte nur überprüfen, ob du uns auch zuhörst, mein Freund.»
Eine Sekunde lang bin ich abgelenkt.
Marius hat recht: Ist es nicht merkwürdig, dass von Justus kaum ein Wort zu hören ist, während er doch gerade einen neuen Sieg zu feiern hat, nun, da selbst Albrecht, der letzte Mensch, bei dem ich mir das hätte vorstellen können, seine Seele öffnet?
Und doch höre ich ihn tippen. Bedient er noch andere Funktionen mit seiner Tastatur? An meinem Folterstuhl spüre ich keine Veränderungen.
Aber wenn diese Vorgänge weder mit mir zu tun haben noch mit den Männern im Studio: womit dann?
«Hauptkommissar?», wiederholt Marius.
Sofort ist der Gedanke wieder verschwunden.
«Meine …» Ich kann spüren, welche Kraft Jörg Albrecht jedes Wort kostet. «Meine Ehe stand damals auf der Kippe. Es gab kaum noch etwas Verbindendes zwischen uns. Ich wusste, dass meine Frau einen anderen Mann hatte … schon damals.»
Diese kleine Anmerkung hat einen anderen, besonders bitteren Ton.
«Und ich … Es war keine bewusste Entscheidung, doch gleichzeitig fühlte ich mich frei, selbst eine andere, eine neue Beziehung
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