Öffne deine Seele (German Edition)
war ihm demnach gelungen: Selbst dem Meister der Manipulation fiel keine Frage mehr ein, mit der er weiter in den Tiefen seiner Seele stochern konnte.
Der Moderator hatte sich zu Albrecht umgedreht, und der Hauptkommissar hatte den Eindruck, dass die Augen, bei denen er sich nicht sicher war, was sie überhaupt wahrnahmen, ihn mit einer Art von Respekt betrachteten.
Doch dann wandte Marius sich wieder um in Richtung Kamera, ohne ein Wort gesagt zu haben.
«Nun, Hannah, ich bin mir sicher, dass du uns sehr genau zugehört hast. Ich behaupte, dass wir alle das getan haben. Hannah?»
Die Gefesselte richtete sich auf, so weit ihre Fesseln das zuließen.
Albrecht sah, wie sie den Mund öffnete und ihre Lippen sich bewegten.
Doch kein Ton war zu hören.
«Hannah?», fragte Marius noch einmal.
«Du kannst sie nicht mehr hören.» Eine halbe Sekunde Schweigen. «Und jetzt kann auch sie dich nicht mehr hören.»
Die beiden Männer im Studio beugten sich vor, in einer einzigen Bewegung.
«Dann stell die Verbindung augenblicklich wieder her!», verlangte Marius scharf. «Ich kann Hannah unmöglich helfen, wenn ich nicht mit ihr reden kann.»
«Richtig, Meister.»
Schweigen.
«Richtig, Meister», wiederholte die Stimme. «Du kannst ihr nicht mehr helfen. Es war gut, dass du mit dem Hauptkommissar gesprochen hast und er die Gelegenheit bekam, uns seine Seele zu öffnen. Vielleicht kann er wirklich einmal ein Freund werden. Aber für Hannah kannst du nichts mehr tun.»
«Das ist Unsinn!», zischte Marius. «Und das weißt du. Wir sind eben im Begriff, den entscheidenden Schritt zu gehen. Jetzt, da sie begriffen hat, warum Hauptkommissar Albrecht gehandelt hat, wie er handeln musste, ist der Weg für sie frei geworden, selbst …»
«Der Weg.» Justus unterbrach ihn. «Du bist Marius. Du weist uns den Weg. Doch was geschieht, wenn wir den Weg gegangen sind, so weit er für dich sichtbar war, und er sich zwischen den fernen Hügeln verliert?»
«Dann zeige ich euch einen neuen Weg!» Der Moderator klang plötzlich nervös. «Hinaus aus den Hügeln. Zu neuen Feldern und Wäldern und … Ufern. Zu neuen Wegen.»
«Hast du nicht vorhin gesagt, dass du meinen Weg überhaupt nicht billigst?»
«Ich habe gesagt, dass ich …»
«Du bist am Anfang gewesen, Meister. Du hast so vieles erkannt. Und doch hast du noch immer Angst vor der Größe deiner eigenen Ideen. Du bist ein Seher, doch hast nicht du selbst uns gelehrt, dass es unterschiedliche Menschen gibt, unterschiedliche Wege? Menschen, die sehen, und Menschen, die handeln. Ich bin Justus. Ich bin die Gerechtigkeit. Der Dank, den ich und den wir alle dir schulden, ist größer, als ich jemals in Worte fassen könnte. Doch nun muss ich meinen Weg gehen, dessen Ende nur ich allein sehen kann.»
«Nein! Justus!»
Schweigen.
«Justus!» Sehr viel lauter.
Mit einem Knurren riss Albrecht sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte Lehmanns Mobilnummer.
«Ja?»
Die Verbindung war schlecht, im Hintergrund hörte Albrecht ein Knacken und unterdrückte Flüche mehrerer Stimmen.
«Wo sind Sie, Lehmann?»
«Fragen Sie mich … Leichteres.» Ein Knurren. «Zufahrt … gesperrt. … irgendwo … Gebüsch. Irgendwo unterhalb des Anwesens. Wir sehen die Lichter, aber das ist ein verdammtes …»
Albrecht beendete die Verbindung.
«Winterfeldt!», brüllte er. «Wir gehen in den Keller!»
***
Ich habe ihn tippen hören.
Seine raschen Finger auf der Tastatur.
Doch seitdem Albrecht seine Beichte abgeschlossen hat, ist kein Wort mehr zu hören.
Nicht von Justus. Von seiner Stimme, die keine Stimme ist.
Und nicht von den Männern im Studio.
Die Erkenntnis kommt wie ein Eimer kaltes Wasser: Nun bin ich wirklich allein.
Allein mit ihm.
Es ist ein neuer Schock, als eine hünenhafte Gestalt in mein Blickfeld kommt.
Ich bin Folkmar. Ich mache die Technik.
Auf einen Schlag kommt die Erinnerung zurück. Unsere erste Begegnung, aber auch der Moment an der Schranke, kurz nachdem Merz sich verabschiedet hat. Folkmar, der wie aus dem Nichts mit seinem Geländewagen aufgetaucht ist.
Das Gesicht eines freundlichen Opas.
Selbst jetzt sieht er nicht unfreundlich aus.
Ich habe eine Reparaturwerkstatt in Hausbruch – seit sieben Jahren. Aber meine Arbeit hier darf ich immer noch machen.
Die Gänsehaut, die sich auf meinem Körper bildet, bringt eine Kälte mit sich, wie ich sie noch nie erlebt habe.
Genau das ist es, was er tut: seine Arbeit.
Er ist Justus. Er ist
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