Öffne deine Seele (German Edition)
die Gerechtigkeit.
Wenn Marius – sein Meister – einen seiner Freunde verstoßen hat, vollstreckt Folkmar das Urteil.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Freude an der Grausamkeit hat. Nein, die Apparatur, auf der er mich fixiert hat, ist kalt, hart und herzlos, und doch spüre ich ein weiches Kissen unter meinem Kopf.
Aber er hat mich mit Fesseln und Elektroschocks traktiert!
Nein, nicht, um mir weh zu tun.
Im Gegenteil: Er hat versucht, mir einen Anreiz zu geben. Einen zusätzlichen Anreiz, Marius meine Seele zu öffnen und doch noch eine echte Freundin zu werden.
Er betrachtet mich, und fast gegen meinen Willen richte ich meinen Blick auf sein Gesicht.
Alles ist besser, als die nadelspitze, bleistiftdünne Lanzette anzusehen, die er in den von Einmalhandschuhen verhüllten Fingern hält.
«Du hattest so viele Chancen», sagt er traurig. «Ich sollte wirklich richtig böse auf dich sein. Du durftest vor seine Augen treten, mit ihm sprechen, ganz allein, ohne die Prüfungen, denen sich die Schüler unterziehen müssen, bevor sie auch nur zu einer Abendrunde zugelassen werden. In all seiner Liebe hat er dir seine Hand entgegengestreckt – und du hast sie ausgeschlagen.»
«Ich …» Ich richte mich auf, so gut es geht. «Ich war nicht hier, weil ich irgendein Problem hatte. Mein Problem war unsere Ermittlung.»
«Ich habe dir Glück gewünscht», sagt er leise. «Ich habe so sehr für dich gehofft. Und heute Abend … Er hat sich einen ganzen Abend für dich Zeit genommen. Aber du hast geschwiegen.»
«Justus!» Marius’ Stimme überschlägt sich.
Folkmar muss die Lautsprecher wieder freigeschaltet haben. Wäre ja auch schade, wenn die Millionen von Zuschauern da draußen den entscheidenden Akt nicht mitbekommen würden, nachdem er sich solche Mühe gegeben hat.
«Justus, warum sprichst du nicht mehr mit mir? Wir sind doch auf einem guten Weg! Wir müssen nur noch …»
Folkmar reagiert nicht mehr darauf.
Mit einem traurigen Gesichtsausdruck hebt er ein kleines Gerät von der Größe eines Smartphones und drückt mit dem Daumen der freien Hand auf die Bedienfläche.
Etwas bewegt sich am Rand meines Gesichtsfelds.
Die stählernen Platten links und rechts von meinen Schläfen, von denen auf Knopfdruck die betäubende Energie der Elektroschocks ausgeht, rücken näher, noch näher. Ich spüre ihre Kälte, spüre …
«Würdest du die Augen offen lassen?», fragt er mich freundlich. «Es geht wirklich einfacher, wenn du sie offen lässt.»
«Hannah!»
Mein Herz überschlägt sich. Das ist Dennis! Dennis!
Meine Gedanken rasen. Wie hat er mich hier gefunden? Wo bin ich hier überhaupt? War Dennis nicht vor ein paar Minuten noch im Studio?
Rasche Schritte. Jemand ist bei ihm. Merz?
«Halt!»
Sie bleiben sofort stehen, noch außerhalb meines Blickfelds.
Demonstrativ hebt Folkmar seine Fernbedienung.
«Schön, dass ihr doch noch gekommen seid, Parsifal. Aber du solltest wirklich keinen Schritt näher kommen. Das hier ist jedes Mal der schwierigste Teil. Da kann man echt eine Menge falsch machen.»
«Du willst ihre Seele öffnen?»
Das Blut braust in meinen Ohren, sodass ich Dennis kaum verstehen kann, und doch lege ich die Stirn in Falten und horche den Worten nach.
Sie sind anders .
Anders, als ich erwartet hätte.
Nicht nervös und unsicher, aufs äußerste angespannt wie vorhin in der Übertragung, sondern konzentriert und ruhig.
Zu ruhig?
Nein, nicht zu ruhig.
Es geht in diesem Moment um mein Leben, und doch ist es ein Ton, den ich kenne. Eine Ruhe, zu der einzig und allein dieser Mann in der Lage ist. Mein Mann. In genau den Momenten, in denen rundherum die Welt zusammenbricht.
Wie an dem Abend, an dem ich auf dem Weg nach Hause den Porsche unseres Nachbarn zwei Häuser weiter gerammt habe, der friedlich am Straßenrand stand. Ich, eine Polizeibeamtin!
Wie in der grauenhaften Nacht um vier Uhr früh, als meine Mutter völlig aufgelöst anrief, nachdem mein Vater mit Verdacht auf einen Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Eine Insel der Ruhe, wenn die Wellen zusammenschlagen.
Ein Leuchtturm, ein Fels in der Brandung.
«Wie ich das verstanden habe, läuft es darauf doch hinaus?», erkundigt sich Dennis.
Ich höre seine Schritte, langsamer jetzt, fast schlendernd, und im nächsten Moment tritt er in mein Blickfeld und stellt sich zwischen mich und mein eigenes überdimensioniertes Bild auf der Leinwand.
Er sieht fürchterlich aus, bedeckt mit schwarzem
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