Öffne deine Seele (German Edition)
nicht sprechen darf, weil dies ein Moment zwischen Dennis und mir allein ist und selbst Justus, ja, selbst Justus unwichtig geworden ist.
«Wir zwingen uns, uns die Zeit zu nehmen», sagt Dennis. «Und damit machen wir alles nur noch schlimmer, weil diese erzwungene Zeit nicht uns gehört, solange wir nicht wirklich reden. Solange unausgesprochen bleibt, was in unseren Köpfen ist, weil wir dieses bisschen Zeit nicht zerstören wollen. Diese Gedanken in unseren Köpfen, unseren Seelen … diese Worte, die herauswollen, aus …»
Er bricht ab, wird noch leiser.
«Jedenfalls aus meinem Kopf.» Nun muss ich die Worte tatsächlich von seinen Lippen lesen. «Auch wenn ich schreckliche Angst habe, weil ich spüre und ahne … oder doch nur glaube, es zu spüren, dass du …»
Seine Brust hebt und senkt sich. Er nimmt alle seine Kraft zusammen.
«Ich liebe dich, Hannah. Du bist alles in meinem Leben. Wir haben uns ein Haus geleistet, das wir wahrscheinlich nicht halten können, obwohl wir beide zehn, zwölf, vierzehn Stunden ackern, jeden Tag. Und doch, obwohl ich weiß, dass wir viel zu wenig Zeit haben, obwohl ich weiß, dass du ganz kurz vor dem großen Schritt stehst, Erste Stellvertreterin auf dem Revier, trotz allem ist da das eine, das ich mir mehr wünsche als alles andere im Leben. Das eine, das mir, das uns …»
Es ist ein Schmerz.
Ein Schmerz ganz tief innen. Verbirgt sich die Seele hinter der Stirn? Lässt sie sich durch Manipulation an den Augenhöhlen erreichen?
Der Schmerz des Ungesagten, nicht einmal mir selbst Eingestandenen, füllt meinen gesamten Körper, will ihn zerreißen, ihn platzen lassen wie eine Blase, die dem unerträglichen Druck nicht länger standhalten kann.
Was ist es, Hannah? Was ist es, das dir in deinem Leben so schrecklich fehlt?
«Ein Kind!», flüstere ich. «Obwohl ich weiß, dass es unmöglich ist aus zehntausend Gründen und mehr … Ein Kind, das …»
Folkmar zuckt herum.
In seinen Augen liegt mehr als Überraschung. Es sind so viele Dinge auf einmal, dass ich sie in diesem Augenblick nicht fassen kann.
Ich kann nicht sagen, ob es eine Schockreaktion ist oder etwas anderes. Ob er es eigentlich nicht gewollt hat. Ob er fair sein, sich bei allem Wahnsinn doch an seine eigenen Prinzipien halten und mich gehen lassen wollte.
Seine Hand hebt sich zitternd. Sein Daumen schwebt über dem Display.
Dennis und Merz, die sich anspannen, sich in Bewegung setzen, doch im selben Moment trifft mich der Schmerz mit voller Wucht.
Der Schmerz der elektrischen Entladung schießt auf voller, tödlicher Stärke aus nächster Nähe in meine Schläfen.
Der Schmerz, der alles auslöscht, binnen Sekunden.
Schwärze.
Doch es ist eine Schwärze, die nicht auf einen Schlag kommt, sondern langsam von außen nach innen wandert und mir Zeit lässt für Empfindungen.
Erleichterung. Dankbarkeit. Trauer.
Gefunden. Erkannt.
Und nun wird es niemals geschehen.
Doch dann, ganz zuletzt, ein ganz anderer Eindruck:
Folkmar, die Zähne aufeinandergebissen, die Fernbedienung, auf die sich der Daumen presst, zitternd in seiner Hand und sein Gesicht …
Im nächsten Moment ist da kein Gesicht mehr, kein Kopf mehr, sondern Blut … Blut …
Und der dröhnende, berstende Hall des Schusses, der sich in der Schwärze bricht.
Und das Letzte, was ich wahrnehme:
«Zwei», flüstert Jörg Albrecht. «Zwei an einem Tag.»
zwölf – Donnerstag, 27. Juni und später
B lutdruck bei neunzig zu sechzig, weiter fallend. Der Herzton wird schwächer!»
«Geben Sie noch einmal Adrenalin!»
Die Notärztin wirkte beherrscht. Doch die Hektik lag über der gesamten Situation in dem unterirdischen Raum.
Albrecht konnte sie spüren. Und doch war sie ganz weit weg.
Zwei an einem Tag. Er hatte an diesem Tag zwei Menschen getötet. Den Zuhälter aus der Lesserstraße und Folkmar.
Bitte, dachte er. Bitte, lass es wenigstens nicht umsonst gewesen sein. Lass Hannah leben.
Sein Blick wanderte erst zu Merz, dann zu Friedrichs’ Ehemann. Beide Männer rangen um Fassung.
Mit routinierten Bewegungen setzte die Rettungsassistentin eine Kanüle an den vorbereiteten Zugang und injizierte eilig den Wirkstoff.
Keine Reaktion.
Jedenfalls konnte Albrecht keine Reaktion beobachten.
Hannah lag bereits auf der Transportliege, reglos, angeschlossen an flimmernde und piepende Apparate. Ihr Gesicht hätte einem Leichnam gehören können – einem entstellten Leichnam. Die Hitze des Elektroschocks hatte über ihren
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