Öffne deine Seele (German Edition)
weil wir beide uns so verzweifelt ein Kind gewünscht hatten, waren wir beide unfähig gewesen, den Gedanken auszusprechen.
Ich stand auf.
Das Laufen machte fast keine Probleme mehr. Hin und wieder wurde mir ganz kurz etwas schwindlig, und ich musste mich abstützen, aber auch das kam inzwischen nur noch selten vor.
Dennis war seit heute Mittag hier in der Klinik, wie immer zum Wochenende. Als sich die Therapeutin angekündigt hatte, hatte er sich wie üblich kurz verabschiedet.
Ich wusste, dass er mit einem kleinen Mädchen auf der Kinderstation Freundschaft geschlossen hatte und wusste, wo ich ihn finden würde.
Ich öffnete die Tür und trat auf den Korridor.
Das Personal war dabei, den Kaffee vorzubereiten.
Lächelnd nickte ich den Schwestern zu, ging in Richtung Foyer – und kniff plötzlich die Augen zusammen.
Ich hatte seit Wochen keine Halluzinationen mehr gehabt!
Aber da stand er, Sören führte ihn am Arm. Der Tag war bedeckt, doch die Schritte vom Parkplatz bis hierher mussten trotzdem die Hölle für ihn gewesen sein.
Trotz der mächtigen dunklen Brille, hinter der Marius’ Gesicht fast unsichtbar war.
Flüsternd formten meine Lippen seinen Namen. Eigentlich hätte ich stolz auf mich sein sollen, dass ich ihn trotz der Verblüffung richtig aussprach.
Sofort sah er in meine Richtung.
«Hannah.»
Sören wollte ihn vorsichtig am Arm geleiten, hatte jetzt aber Mühe, mit dem Meister mitzuhalten.
Ich war stehen geblieben. Einen Schritt vor mir blieb er ebenfalls stehen.
Er betrachtete mich – oder was bei ihm einem Betrachten nahekam.
«Bist du bereit, mich anzuhören, Hannah? Ich habe kein Recht, das von dir zu fordern, aber du würdest mir eine wirklich große Freude machen.»
Die Worte waren ehrlich. Es gab keinen Zweifel, dass sie ehrlich waren.
Schon weil er recht hatte damit, dass er kein Recht hatte, irgendwas von mir zu verlangen.
Ich sah auf die Uhr, aber das war eher ein Reflex.
«Das ist …» Kein Problem , wollte ich sagen, doch das stimmte nicht. «Das ist in … in Ord-nung», sagte ich.
«Danke», murmelte er. «Das hatte ich gehofft.»
Ich sah mich um. Im Foyer gab es eine schattige Ecke in einem Winkel zwischen den Zimmerpflanzen.
Vorsichtig führte ich meine beiden Besucher dorthin.
Einige der anderen Patienten warfen kurze Blicke in unsere Richtung, doch offenbar hatten wir Glück. Ich hatte nicht das Gefühl, dass jemand von ihnen den Moderator erkannte. Wir konnten ungestört reden.
Marius strich sich über seine dunkle Stoffhose, als er sich setzte.
«Hannah, ich bin gekommen, weil ich dir danken möchte. Nein, bitte sag jetzt noch nichts. Du kennst mich.» Ein schiefes Lächeln. «Ständig falle ich den Leuten ins Wort, aber wehe, jemand wagt es, mich zu unterbrechen.»
Es war das erste Mal, dass ich ihn unter Umständen sah, die echtem Tageslicht auch nur entfernt nahekamen. Auf seine Weise war er ein durchaus attraktiver Mann, doch ich stellte fest, dass er hier, in einer für ihn fremden Umgebung, nicht ganz die Präsenz besaß wie hinter seinem Tisch im Studio, wo er den gesamten Raum beherrschte – und über die Kanäle des Senders eine ganze Welt voller Freunde und Verehrer.
Aber möglicherweise war das gar nicht der entscheidende Punkt.
Mein Spiegelbild in den Gläsern seiner Sonnenbrille sah mich an.
Vielleicht war ich es, die jetzt anders war, und damit auch das Verhältnis zwischen mir und ihm.
«Hannah, ich möchte dir danken. Nicht allein für deine Tapferkeit. Der Mut, mit dem du die Situation durchgestanden hast, ist bewundernswert, aber das hast du schließlich nicht für mich getan, sondern für dich selbst und deinen eigenen Weg.»
Mein Spiegelbild legte die Stirn in Falten – noch immer etwas asymmetrisch, doch die Ärzte hatten mir zugesichert, dass sich das bald wieder legen würde. «Ich war gefess…» Für einen Moment wollte sich meine Zunge wieder verknoten, doch seltsamerweise half es mir, dass ich auf einmal an alles denken konnte – aber nicht an meine Zunge. «Ge-fes-selt», brachte ich deutlich hervor. «Weg-lau-fen konnte ich schlecht.»
Er kicherte leise. «Natürlich nicht. Aber Tatsache ist, dass du deinem eigenen Weg treu geblieben bist. Deinem Weg, deine Seele nicht zu öffnen, solange das bedeuten würde, dass du andere, jüngere Seelen, die noch nicht so weit sind wie du, in eine Situation bringen würdest, mit der sie noch nicht umgehen konnten.»
Jüngere Seelen? Er konnte doch nicht ernsthaft von
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