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Öffne deine Seele (German Edition)

Öffne deine Seele (German Edition)

Titel: Öffne deine Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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war neben Albrecht stehen geblieben, der dem Gerichtsmediziner ein unauffälliges Zeichen gab.
    «Wenn Sie bitte mitkommen würden?», wandte Euler sich mit gedämpfter Stimme an das Ehepaar.
    Mitarbeiter des Instituts waren auf den Fluren unterwegs, ausnahmslos in Zivilkleidung. Die Kittel blieben in den Autopsiesälen. Die Gerichtsmedizin nahm ihre Hygienevorschriften ernster als jedes Krankenhaus, das der Hauptkommissar jemals von innen gesehen hatte.
    Linoleumbelag auf den Fußböden. Ein uniformierter Beamter, der kurz stehen blieb, um sie durchzulassen, an seiner Seite ein Untersuchungshäftling, mit Handfessel gesichert. Die Leichenschau war nur ein Teil der rechtsmedizinischen Aufgaben, mit denen man sich im Gebäude auseinandersetzte.
    Vor einer unscheinbaren Tür wurde Martin Euler langsamer, holte einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete.
    Der Begegnungsraum. Albrecht war sich nicht sicher, wie die Institutsmitarbeiter das Zimmer bezeichneten. Er war jedes Mal froh, dass man die Angehörigen nicht in den Obduktionssaal führte, wo die Arbeit der Mediziner in der formaldehydgeschwängerten Luft hing, selbst wenn sie ihre Tätigkeit für den Augenblick eingestellt hatten.
    Ein Schreibtisch, ein Aktenregal, Stühle, an den Wänden Poster zur Gewaltprävention. Kaum ein Unterschied zu einer Polizeidienststelle. Wäre da nicht die mit einer Kunststoffdecke verhüllte Rollbahre gewesen. Durch das Fenster ging der Blick auf eine Baumgruppe. Im Geäst trillerte ein Rotkehlchen.
    Denkbar unpassend. Doch man konnte die Institutsmitarbeiter kaum dazu verdonnern, die Vögel aus Pietätsgründen zu schießen.
    Der Konsul trat ohne Zögern an die Bahre.
    Elisabeth blieb einen halben Schritt hinter ihrem Mann.
    «Wir konnten ihm die Augen nicht schließen», sagte Euler leise. «Aber sonst sieht er nicht schlimm aus.»
    Vorsichtig schlug er die Decke beiseite und legte den entblößten Oberkörper des Leichnams frei.
    Der Mann hatte recht, dachte Albrecht. Falk Sieverstedt sah nicht schlimm aus, abgesehen von den dunkel verfärbten Malen der Fesselung um Arme, Brust und Bauch und dem stumpfen Blick aus den rötlich blau verfärbten Augäpfeln, der sich blind an der Decke verlor. Der Mund war jetzt geschlossen, anders als in der Auffindungssituation. Euler und seine Mitarbeiter hatten den Kiefer demnach noch aufbinden können, bevor die Leichenstarre einsetzte.
    Das Wasser des Bassins, erinnerte sich Albrecht, das den Prozess verlangsamt hatte.
    Nein, der Junge sah nicht schlimm aus. Opfer von Gewaltverbrechen waren fast immer in einem wesentlich übleren Zustand.
    Tot war er trotzdem.
    Einen Moment lang huschte Albrechts Blick zwischen Vater und Sohn hin und her. Gab es eine Ähnlichkeit zwischen den beiden, die ihm schon gestern Abend hätte ins Auge fallen müssen? Zwischen Falk und seiner Mutter?
    Bedeutungslos. Als er den Jungen zum letzten Mal gesehen hatte, war Falk Sieverstedt acht Jahre alt gewesen. Und aus welchem Grunde hätte er annehmen sollen, dass von eins Komma fünf Millionen Menschen im Großraum Hamburg ausgerechnet Falk Sieverstedt …
    Zwei Sekunden lang betrachtete Friedrich Sieverstedt das Gesicht seines Sohnes. Zumindest ging Albrecht davon aus, dass er es betrachtete. Absolute Sicherheit gab es nicht hinter der dunklen Sonnenbrille.
    «Das ist Falk», sagte der Konsul knapp, sah zu Euler und hob fragend die Hand.
    «Ja?» Der Mediziner.
    «Wir müssen etwas unterschreiben, nehme ich an?»
    «Na… Natürlich.» Euler beugte sich über den Schreibtisch.
    Albrecht nickte unmerklich. Bisher in etwa das, was er erwartet hatte.
    «Sekunde.» Euler hob einen Aktenstapel an. Dann einen zweiten. «Verflixt! Bin gleich wieder da.»
    Und raus war er.
    Friedrich Sieverstedt hob die Augenbrauen bis über den Rand seiner getönten Gläser, gab aber keinerlei Kommentar.
    Albrecht verfluchte den Gerichtsmediziner. Er hatte noch kein Bild von der Reaktion des Konsuls, und nach dieser Komödie würde er auch keines mehr bekommen.
    Währenddessen war Elisabeth Sieverstedt an die Bahre getreten, auch ihre Augen unsichtbar hinter der Brille, doch ihre Haltung sprach für sich: ihre Füße, die sich weigerten, noch einen Schritt zu tun, der Oberkörper, der sich der Leiche ihres Sohnes entgegenbeugte. Die ausgestreckte Hand, die Fingerspitzen, die Zentimeter vor der Wange des Toten innehielten.
    Sie ließ den Arm sinken und richtete sich in einer seltsam kraftlosen Bewegung auf.
    «Er sieht aus wie mein Sohn»,

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