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Öffne deine Seele (German Edition)

Öffne deine Seele (German Edition)

Titel: Öffne deine Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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flüsterte sie. «Doch ich kann ihn nicht anfassen. Wenn ich ihn anfasse, und er ist kalt und … und er fühlt sich nicht an wie Falk, werde ich nie akzeptieren, dass er …»
    «Das da ist nur irgendein toter Körper.» Der Konsul wandte ihr den Rücken zu. Die nachtdunklen Gläser studierten eines der Plakate. «Es war Falks Körper. Jetzt ist es nur noch irgendein …» Eine abwinkende Geste, so knapp wie möglich.
    «Du hörst dich wütend an», bemerkte Jörg Albrecht.
    «Weil Verschwendung mich immer wütend macht!» Friedrich Sieverstedt drehte sich nicht zu ihm um. «Verschwendung ohne Sinn und Verstand.»
    Der Hauptkommissar trat ans Kopfende des Tisches. Jetzt konnte er den Mann im Profil sehen, die angespannte Kiefermuskulatur, über die sich eine fahle, fleckige Haut spannte, die sich an anderer Stelle, am Hals, zu gräulichen Wülsten beulte wie ein schäbiger, zu weit gewordener Mantel. Fünfzehn Jahre? Der Konsul war um mehr als diese eineinhalb Jahrzehnte gealtert.
    Jörg Albrecht kannte Friedrich Sieverstedts Wut. Er war Zeuge dieser Wut geworden, doch es war eine völlig andere Art von Wut gewesen. Ein Gefühl, das groß und einschüchternd gewesen war.
    Eindrucksvoll, in den besten Momenten.
    Eine Gewalt, die die Welt aus den Angeln heben wollte.
    Was er hier sah, war kaum mehr als ein zynisch kläffender, kleiner Schatten.
    Er ist krank, dachte Albrecht. Schwer krank.
    Es war nicht mehr als ein Gedanke. Doch im selben Moment wusste Albrecht, dass er sich nicht täuschte.
    Der Konsul war krank. Er würde nicht mehr lange leben.
    «Du glaubst, mir hätte das Leben nicht gefallen, das der Junge geführt hat.» Die Worte waren ein Genuschel. Noch immer drehte der Konsul sich nicht um. «Und damit hast du vollkommen recht.»
    «Ich gehe davon aus, dass du ihn das hast spüren lassen», bemerkte Albrecht ruhig.
    Ein Schnauben. «Denkst du? Frag Elisabeth. Er hatte immer ausreichend Mittel zur Verfügung für diese Art von Leben. Das Boot, der Sportwagen … alles geschenkt.»
    Albrecht nickte. «Geschenkt», sagte er. «Ein Almosen also.»
    Ein Laut, bei dem er sich nicht vorstellen wollte , dass er ein Lachen sein sollte. «Wenn du das sagst, Jörg Albrecht. Das war alles, was ich für ihn tun konnte: ihm deutlich machen, dass er auf unsere Kosten lebt. Dass er lebt wie ein Verlierer, der Geschenke akzeptieren muss von jemandem, den er hasst.»
    Eine knochige Hand legte sich auf die Rückenlehne des Bürostuhls.
    «Ich habe gewartet.» Die Stimme war nur noch ein Flüstern. «Gewartet, dass sein Hass sich endlich auf denjenigen richtet, der ihn tatsächlich verdient hat: auf sich selbst. Das wäre der Moment gewesen, in dem er sich hätte entscheiden können. Sich entscheiden, stark zu sein, weil nur die Starken überleben. Doch ich kann nicht glauben, dass er das getan hätte. Er war schwach. Er war ein Verlierer.»
    Ein schrilles Geräusch, das Elisabeth Sieverstedt zusammenzucken ließ.
    Der Konsul griff in die Innentasche seines Sakkos.
    «Rangun.» Gemurmelt. Ein Tastendruck. «Ja?»
    Er öffnete die Tür zum Flur, schloss sie hinter sich.
    Ohne ein Wort der Entschuldigung.
    Die Konsulin starrte auf die Tür. Die nachtschwarzen Insektenaugen.
    Mit einem Mal schien jede Spannkraft ihren Körper zu verlassen. Schwer stützte sie sich auf die Bahre, die die Leiche ihres Sohnes trug.
    «Wie kann er nur …» Weniger als ein Flüstern.
    «Elisabeth.» Albrecht brauchte zwei Schritte, um die Distanz zu überbrücken und berührte ihre Schulter.
    Sie zuckte zurück, als hätte er sie geschlagen.
    Albrecht starrte sie an.
    Und im selben Moment begriff er.
    «Mein Gott.» Seine Stimme war ohne Betonung. Er sah sie an, sah sie mit neuen Augen. «Sag, dass das nicht wahr ist! Er tut es wieder?»
    Keine Reaktion.
    «Sag, dass das nicht wahr ist!» In diesem Moment war ihm gleichgültig, dass die Tür sich jeden Moment öffnen und der Konsul oder Martin Euler zurückkommen konnten. «Nimm diese Brille ab!»
    Sie rührte sich nicht, sekundenlang, bis ihre Hand ganz langsam zu der überdimensionierten Brille wanderte und sie millimeterweise aus ihrer Position löste.
    Die Haut über dem rechten Jochbein war aufgeplatzt, das Auge zugeschwollen. Die Augenhöhle leuchtete in dunkelvioletter Farbe.

Zwischenspiel I
PK Königstraße
Akte Sieverstedt

Konvolut Second Chance , Gesprächsprotokoll Silke L. («Constanze»)
Tag des Anrufs: 27. 11. 2011
Anruferin verstorben: 15. 12. 2011

(22:47 Uhr: Beginn des

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