Öffne deine Seele (German Edition)
wurde getragen.» Euler nahm die Akte wieder entgegen. «Die Zufahrt zum Garten selbst ist mit einem Kraftfahrzeug nicht möglich. Höchstens mit dem Motorrad, und da hätten wir auf unübersehbare Spuren stoßen müssen.»
«Wenn er getragen wurde, müsste es zumindest Fußspuren geben.»
Der Gerichtsmediziner nickte. «Die haben wir. Mehr als genug. Doch mit ziemlicher Sicherheit sind die für uns relevanten Spuren bereits mehrfach überdeckt worden. Unter anderem haben wir die Pfennigabsätze der Zeu… des Zeugen. Schlohmeier.»
«Schorlemmer», korrigierte Albrecht kühl.
Euler hob die Schultern. «Gestern Abend muss eine Menge los gewesen sein im Dahliengarten. Die Fußabdrücke des mutmaßlichen Täters müssten sich tiefer eingedrückt haben als der Rest, wenn er den Körper des Opfers getragen hat. Doch ein lebender Körper – sei er auch paralysiert – trägt sich anders als ein Leichnam. Gerade diese nach menschlichem Ermessen zuverlässigsten Spuren sind in Wahrheit oft diejenigen …»
Albrecht hob die Hand. «Wir wissen also, dass wir nichts wissen», sagte er.
«Na ja.» Wieder ein Schulterzucken. «Jedenfalls nicht besonders viel zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Aber auf eine Reihe von Auswertungen warte ich ja noch.»
«Gut.» Der Hauptkommissar sah auf die Uhr. «Geben Sie mir Nachricht, sobald Sie etwas erfahren.»
***
«Dennis?»
«Hallo … Hannah.»
Diesmal war er mitten in der Arbeit. Die winzige Pause vor meinem Namen war ein deutliches Indiz. Ich hörte Stimmen im Hintergrund. Hatte er einen Kunden im Büro?
Doch im nächsten Moment verstummten die Geräusche. Er musste die Tür geschlossen haben. Wahrscheinlich war es Iris Gunthermann, seine Partnerin in der Agentur, die einen Besucher hatte.
Den ersten für den Nachmittag.
Kurz vor halb zwei. Ziemlich spät für ein Mittagessen. Aber ich wollte Dennis auf keinen Fall enttäuschen.
Keinen von uns beiden.
«Also, wenn du noch Zeit hast», sagte ich. «Ich bin jetzt auf dem Weg nach Eimsbüttel. Der Italiener», half ich ihm auf die Sprünge.
«Klar. Ja, natürlich.» Rascheln von Papier.
«In zehn Minuten?», fragte ich. «Ich bin jetzt auf der Stresemannstraße.»
«Oooo-kay.» Klapp . Ein Aktenordner.
«Ich freu mich auf dich», sagte ich.
«Bis gleich», sagte er.
Ich legte auf.
Gleichzeitig kam ich mir schäbig vor.
Ich wusste, dass Dennis den Hals voller Arbeit hatte, gerade seitdem er versuchte, jeden Tag pünktlich Feierabend zu machen. Uns zuliebe , wie wir ja alle beide bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonten.
Doch ich wusste, dass das an ihm fraß. Auch der unausgesprochene Gedanke, dass wir richtig Ärger kriegen könnten mit dem Häuschen. Was ich verdiente, floss unsichtbar in die laufenden Kosten. Mit Dennis’ Geld versuchten wir die Hypothek abzuzahlen.
Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Und natürlich war mir klar, dass sein Job nicht immer ein Vergnügen war. Die Kunden in ihren Luxuskarossen, die sich hofieren ließen wie der Scheich von Dubai. In den letzten Wochen, in dieser mörderischen Hitze, waren sie wohl noch etwas ungemütlicher geworden.
Wenn du das so genau weißt, dachte ich, warum sagst du es ihm dann nicht häufiger? Sehr viel häufiger als … wie oft? Ich konnte mich nicht erinnern.
Stattdessen kam ungefragt eine andere Erinnerung: Es täte ihm ja ganz fürchterlich leid, hatte er mir im Herbst an den Kopf geworfen, dass bei seiner Arbeit keine Menschenleben auf dem Spiel standen.
Ich wusste noch gut, wie wütend ich auf ihn gewesen war – und wie wütend ich im Grunde heute noch deswegen war.
Was dieser Spruch im Grunde alles bedeutete: dass ich mir wie was Besseres vorkäme, weil ich Straftätern nachstellte, Delikte gegen Leib und Leben aufklärte. Dass ich in ganz anderen Kreisen unterwegs war. Dass dieselben Leute, für die er nur ein besserer Lakai war, gezwungen waren, mich ernst zu nehmen, sobald ich meinen Dienstausweis zückte.
Mit einem Wort: Bei allem Stöhnen, allem Stress – führte ich nicht ein wilderes und aufregenderes Leben, bei dem ein Makler aus Eimsbüttel einfach nicht mithalten konnte?
Sondern eher … ein Joachim Merz?
Die Luft lag wie ein hitzeflirrendes Kraftfeld über dem Asphalt.
Wir mussten reden, dringend reden.
Warum sind wir unfähig, dachte ich, über die Dinge, die uns so wichtig sind, mit demjenigen zu sprechen, den sie einzig und allein betreffen?
Nicht ich allein war unfähig dazu. Dennis doch genauso – und Falk
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