Öffne deine Seele (German Edition)
Zimmer gegangen. Nur wir beide.
Ich musste Bettina Wahltjen fast schon wieder bewundern, mit wie viel Anstand sie sich aus der Affäre gezogen hatte. Mutter Wahltjen selbst hatte den Vorschlag gemacht, dass ich mich mit ihrer Tochter zurückziehen sollte.
«Anders als du», sagte ich. «Du warst seine Freundin. Du kanntest ihn.»
Ich schämte mich. Es fühlte sich an, als ob ich dem Mädchen eine Falle stellte.
«Gar nicht besonders gut», murmelte Yvette und sah zögernd auf. «Aber ich hätte mir vorstellen können, dass das wirklich was wird mit uns.»
«Dann wart ihr noch nicht fest zusammen?»
Sie schüttelte den Kopf. «Wir waren ein paar Mal zusammen aus. Einer von den Produzenten der Megastars hatte ihn mir vorgestellt. Hat sich wahrscheinlich gedacht, das gibt gute Bilder in der Presse. Zusätzliche Werbung.»
Was ja offensichtlich auch geklappt hat, dachte ich. Doch ich nickte nur und fragte dann nach:
«Wann hast du ihn denn das letzte Mal gesehen?»
«Donnerstag.» Ohne nachzudenken. «Wir waren mit seinem Boot draußen.»
Ich nickte. Meinen Notizblock hatte ich ausgepackt, doch eine innere Stimme sagte mir, dass Yvette zu der Sorte Zeugen gehörte, die nervös wurden, wenn ich ihre Worte mitschrieb.
Und bisher hatte ich keine Probleme, alles im Kopf zu behalten.
«Und seitdem?», fragte ich. «Habt ihr telefoniert?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ein paar SMS. Die letzte am Samstagvormittag. Danach hat er nicht mehr geantwortet.»
Ich biss die Zähne zusammen. Damit blieb sein Gespräch mit seiner Mutter am Samstagabend das letzte sichere Lebenszeichen.
«Und diese SMS waren …», begann ich.
«Er hat gefragt, ob wir Sonntag was zusammen machen wollten. Aber ich konnte nicht. Ich habe …» Sie brach ab. «Ich hätte heute eine Klausur gehabt», sagte sie leise. «In Latein. Ich musste üben.»
Ich räusperte mich und versuchte den Kloß zu vertreiben, der plötzlich in meiner Kehle festsaß.
Mit begrenztem Erfolg. Erst in diesem Moment wurde mir klar, wie ungewöhnlich es war, dass eine angehende Abiturientin am Montagvormittag nicht in der Schule war.
«Du hast dir Sorgen um ihn gemacht», sagte ich schließlich. «Deshalb bist du heute zu Hause geblieben.»
Sie nickte. Ein Zeichen, dass ich verstanden hatte. Doch sie schien den Gedanken nicht vertiefen zu wollen.
«Jedenfalls war er ganz anders, als sie dachten», sagte sie stattdessen.
«Sie?»
Yvette hob die Schultern. «Die Leute. Meine Mutter.»
«Seine Eltern?»
Das Mädchen blinzelte und schien einen Moment zu zögern. «Ja», sagte sie leise. «Die wohl auch. Sie haben ihn nicht besonders gut verstanden, denke ich.»
«Wie war denn der echte Falk?»
Yvette sah an mir vorbei.
Auch in ihrem Zimmer gab es eine Pinnwand, an der ein oder zwei Artikel über ihre Erfolge bei der Castingshow hingen, doch dazwischen ganz andere Sachen. Eine Konzertkarte von Bruce Springsteen. Hätte ich ihr nicht zugetraut.
«Er war ganz begeistert davon, dass ich Musik mache», murmelte sie. «Dabei hatte ich das Gefühl, dass ihn das, was ich bei den Megastars gesungen hatte, gar nicht so sehr interessierte. Es war wohl mehr …» Sie hob die Schultern. «Dass ich irgendwie Künstlerin bin. Solche Leute hat er bewundert, Künstler. Also auch Maler oder Regisseure. Fotografen.» Die Andeutung eines Lächelns. «Ich musste immer aufpassen, dass er nicht noch anfängt, meine Mutter über ihre Töpferei auszufragen.»
«Hat er denn selbst auch was gemacht?», fragte ich. «Künstlerisch?»
Das Mädchen nickte. «Er hat fotografiert. Aber er hat mir nie was von seinen Fotos gezeigt», fügte sie rasch hinzu. «Er meinte, sie wären nicht gut genug. Nichts, was er machte, wäre gut genug.» Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. «Meinte er.»
«Meistens kann man das selbst am allerwenigsten beurteilen», murmelte ich.
«Stimmt.» Sie schenkte mir ein scheues Lächeln. «Genau das habe ich ihm auch gesagt. Zumindest hab ich es versucht. Er hat mir eben …» Ein hilfloses Achselzucken. «Er hat mir leidgetan.»
Ich schluckte. Vor mir saß ein siebzehnjähriges Mädchen aus der Vorortsiedlung und erzählte mir, dass Falk Sieverstedt ihm leidgetan hatte.
Und ich glaubte ihm jedes Wort.
«Hattest du …», begann ich. Ich musste an ihre Worte denken: Was ist mit Falk passiert? «Hattest du das Gefühl, dass er ernsthaft niedergeschlagen war deswegen?», formulierte ich.
Diesmal war sie vorsichtiger. Sie überlegte sich
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