Öffne deine Seele (German Edition)
Marius’ Assistentin war eine Verbeugung .
Und das war noch gar nichts.
Die Schüler nahmen uns nicht weiter zur Kenntnis. Stattdessen näherte sich eine der jungen Frauen zögernd der Nische mit Marius’ Porträt, während die anderen respektvoll Abstand hielten.
Ich sah, wie sie in ihre Hemdtasche griff und etwas zum Vorschein brachte. Einen Zettel? Einen Brief?
Den Blick gesenkt, trat die junge Frau an das Porträt heran, streckte ihm die Arme entgegen, das beschriebene Papier auf den nach oben geöffneten Handflächen.
Wie eine Opfergabe.
Mit einer tiefen Verneigung legte sie es auf einem Sims vor dem Porträt ab, wo ich in diesem Moment weitere, ähnliche Schriftstücke zu erkennen glaubte.
«Frau Friedrichs!», mahnte Merkatz ungeduldig.
Sie stand an einer Tür in einem Winkel der Bibliothek und machte eine nachdrückliche Handbewegung.
Ich warf einen letzten Blick auf die Schüler, biss die Zähne zusammen und folgte ihr.
Die Zeit lief davon, zumindest damit hatte sie recht.
«Was hat das zu bedeuten?», fragte ich leise, als ich sie erreichte. «Was sind das für Schüler ?»
«Einige der jüngeren Leute leben eine Zeitlang hier bei Marius.» Die Frau wandte mir schon wieder den Rücken zu und ging einen lang gestreckten Flur hinab. «Sie lernen.»
«Dann ist das hier eine Art …»
Merkatz blieb stehen. «Tun Sie mir bitte den Gefallen und kommen Sie nicht auf die Idee, Marius mit solchen Fragen zu belästigen! Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Fahndung, oder weswegen auch immer Sie hier sind, eine wichtige Sache für Sie ist, aber bitte beschränken Sie sich auf die Fragen, die für Ihre Ermittlung nun wirklich unumgänglich sind. Marius wird sich dieser Fragen annehmen. Er wird Ihnen helfen.» Ein kurzes Schweigen. «Wenn es einen Menschen gibt, der Ihnen helfen kann. In Ordnung? Gut.»
Zu einer Antwort gab sie mir keine Gelegenheit.
«Es sind jetzt nur noch gut vierzig Minuten, bis wir auf Sendung gehen.» Sie stieß eine Tür auf. «Wenn Sie hier bitte warten. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.»
Ich hatte das Gefühl, dass nicht besonders viel fehlte, und sie hätte mich mit einem Schubs in den Raum befördert.
Halb betäubt sah ich mich um. Nachdem es auf Marius’ Gelände offenbar einen Bauernhof, eine Schule und einen dem Moderator geweihten Hausaltar gab, hätte ich mich auch über ein Wartezimmer nicht mehr gewundert, mit Illustrierten und Spielecke für den Nachwuchs. Doch das war dieser Raum nicht.
Vom Boden bis zur Decke war er vollgestopft mit Technik und schien zu einer anderen Welt zu gehören als die Bibliothek. Ich sah ein Mischpult, eine Kamera, die, offenbar ausrangiert, in einer Ecke stand, mehrere Mikrophongalgen und anderen technischen Krimskrams, den ich nicht recht einordnen konnte.
«Was ist das jetzt schon wieder?»
Ich zuckte zusammen.
Hinter dem Mischpult richtete sich ein Mann auf, mit dem Rücken zu mir, gewaltige Kopfhörer über den Ohren. Jenseits der fünfzig, das sah ich auch von hinten, also unübersehbar kein Schüler mehr.
Seine Kluft war vom Schnitt her eindeutig ein Blaumann. Allerdings war selbst der in gedeckten Farben gehalten.
Vor sich hin murmelnd, betrachtete er mehrere Kabel und hielt die Enden mit unterschiedlichen Anschlüssen nacheinander in die Höhe, die Kehrseite immer noch in meine Richtung.
Ich lauschte, wie Merkatz’ Schritte auf dem Flur verhallten.
«Hallo?», sagte ich laut.
Der Mann fuhr herum, eine Hand zuckte an die Brust. «Himmel!»
Ich hatte Mühe, nicht zurückzustolpern.
Mit einer geübten Handbewegung lüpfte der Mann die Kopfhörer. «Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin Folkmar. Ich mache die Technik.»
Marius’ Techniker streckte mir eine behaarte Pranke entgegen. Ein freundlicher Bernhardiner, abgerichtet auf besondere Höflichkeit.
«Ich bin Hannah Friedrichs. Von der Hamburger Kripo.»
«Oh.» Folkmar griff zu. «Tut mir leid. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes, warum Sie hier sind. Wobei, natürlich muss es etwas Schlimmes sein, sonst wären Sie ja nicht hier, nicht wahr? Aber doch sicher nichts richtig schlimmes Schlimmes, oder?»
Meine schmerzenden Finger waren der einzige Beweis, dass die Situation kein Traum war.
«Sie … Sie wohnen hier?», fragte ich vorsichtig.
«Nein, nein.» Wieder dieses freundliche Lächeln. «Ich habe eine Reparaturwerkstatt in Hausbruch – seit sieben Jahren!» Der Stolz war unüberhörbar. «Aber meine Arbeit hier darf ich immer noch
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