Öffne deine Seele (German Edition)
lautstark und unüberhörbar!»
Zustimmendes Gemurmel der Umstehenden. Irgendwo im Hintergrund begannen die Herrschaften mit den Stachelfrisuren Parolen zu skandieren: Solidari- tät ! Solidari- tät !
Kopfschüttelnd wandte der Hauptkommissar sich ab.
«Diesen Weismann sollten wir uns ansehen», murmelte er.
Dann kam die Erinnerung.
Er würde sich keinerlei Details dieser Ermittlung mehr ansehen, wenn dieser Tag vorbei war.
Er sah auf die Uhr.
Noch achtundzwanzig Minuten.
«Gut», sagte er und wandte sich an Faber. «Ich bin dann in Winterhude auf der Pressekonferenz. Sie haben die Leitung.»
Er war sich nicht sicher, ob es ihm gelang, die letzte Bemerkung eine Winzigkeit anders zu betonen als gewöhnlich.
Er ging noch einmal kurz in sein Büro und schlüpfte in ein Sakko, das er erst vor wenigen Wochen angeschafft hatte. Gute Qualität, dachte er.
Nur angemessen für den wichtigsten und letzten Termin seiner Laufbahn.
Im nächsten Moment stand er auf dem Flur.
Irmtraud Wegner war in ein Telefonat vertieft, Hinnerk Hansens Tür stand halb offen, sodass undeutliche Fetzen eines Dialogs zwischen Marius und einer Anruferin auf den Flur drangen.
«… aber ich liebe ihn! Ich weiß einfach nicht, ob ich ohne ihn leben kann!»
«Nun, liebe Eloise: Dann würde ich sagen, du bist auf dem besten Weg, es herauszufinden.»
Die Tür des Computermenschen war geschlossen. Die Fotos auf Sieverstedts Laptop … Eine innere Stimme sagte dem Hauptkommissar, dass sie eine Bedeutung hatten, von der noch keiner von ihnen etwas ahnte.
Doch das lag nicht mehr in seiner Verantwortung.
Noch etwas, das in diesem Moment noch niemand ahnte – abgesehen von ihm selbst.
Es war ein merkwürdiger Moment.
Kaum richtig da, dachte er. Und schon wieder weg. Endgültig diesmal.
Jörg Albrecht war kein sentimentaler Mensch. Doch als er die Tür des Reviergebäudes hinter sich geschlossen hatte, musste er tief Luft holen.
Er hob den Blick, und …
Sie saß in einem offenen Mercedes, zwei Häuser entfernt: ein weißes Kostüm, um Hals und Kopf ein Seidenschal in derselben Farbe. Die Augen waren verborgen hinter ihrer überdimensionierten Sonnenbrille.
«Elisabeth», flüsterte er.
***
Im Stallgebäude schien es mehrere Grad kälter geworden zu sein.
Ich kniff die Augen zusammen. Von rechts waren wieder die unruhigen Laute der Pferde zu hören. Wahrscheinlich waren sie es gewohnt, zu dieser Tageszeit bewegt zu werden.
Doch vielleicht spürten sie auch die Gegenwart des Todes.
Ich wandte mich in die andere Richtung, blieb im nächsten Moment aber stocksteif stehen.
Eine Bewegung.
Ich war mir hundertprozentig sicher, dass ich sie gesehen hatte, und sie war aus Richtung des undeutlichen Umrisses gekommen, der schmalen, leblosen Gestalt, die in Jeans und dunklem Pullover auf der Plastikdecke lag.
Ich tastete über meine Hüfte.
Meine Dienstwaffe hatte ich heute dabei: Nicht wegen dieser Ermittlung, sondern weil noch der Termin am Niendorfer Gehege anstand. Wir hatten schon üble Überraschungen erlebt, wenn die Antonioni-Brüder ins Spiel kamen.
Leise bewegte ich mich voran und zuckte zusammen, als eine Bodendiele unter meinen Füßen knarrte. Doch draußen war leichter Wind aufgekommen, die erste winzige Hoffnung, dass die Hitze über der Stadt vielleicht doch nicht für alle Ewigkeiten anhalten würde. Überall im Gebälk des Stallgebäudes knarrte es leise.
Der Körper der Toten war noch zehn Meter entfernt, das bleiche Gesicht mit der unförmig aus dem Mund gequollenen Zunge ein hellerer Fleck in der Dunkelheit.
Und direkt daneben …
Die Gestalt hockte am Boden und bewegte sich, leicht und rhythmisch, als ob sie …
«Doktor?», flüsterte ich.
Der Gerichtsmediziner zuckte hoch.
Mit einem Mal kam ich mir unglaublich dämlich vor. Natürlich: Tietgen und sein Kollege waren zu den Kindern verschwunden, aber von dem Mediziner hatte ich nichts mehr gesehen.
Doch was tat er noch hier?
«Kein … kein Doktor.» Mit einer hastigen Bewegung strich er sich übers Gesicht. «Detlef Langen.»
Ich trat zu ihm und der Toten.
Nein, es gab keinen Zweifel. Er hatte geweint.
«Tut mir leid», flüsterte er. «Dass Sie … Dass ich …» Er fingerte in seiner Jackentasche und brachte ein Taschentuch zum Vorschein. «Sie müssen denken, dass ich … Es tut mir so unendlich leid.»
Die Situation hatte etwas Bizarres, Absurdes.
Ein Gerichtsmediziner, der über einer Leiche in Tränen ausbrach.
Doch es war nichts
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