Öffne deine Seele (German Edition)
Ruhe zu bewahren. Er selbst wird sich heute Abend in der Sendung äußern.»
«Also ab zweiundzwanzig Uhr hier auf Kanal Sieben?», fügte Blankenburg an.
Der Anwalt nickte mit staatstragender Miene.
«Eine Werbenummer», knirschte Albrecht zwischen den Zähnen hervor. «Die arme, geschundene Kreatur versichert uns großmütig ihr Verständnis, dass wir unsere Arbeit tun müssen – und fährt damit die Einschaltquote des Jahres ein. Und diese Seuche von Anwalt …»
«Schhhht!», machte Matthiesen.
Auf dem Bildschirm war Merz einen Schritt in den Hintergrund getreten. Er war weiterhin im Bild, doch gleichzeitig gelang es ihm, den Eindruck von juristischer Distanz zu vermitteln.
Oh nein, dachte der Hauptkommissar düster. Selbstverständlich hatte der Mann nicht die Spur mit diesem Menschenauflauf zu tun. Genauso wenig wie er Friedrichs’ Auftritt in der Show eingefädelt hatte.
Albrecht hatte keinen Schimmer, wie der Kerl das angestellt hatte, aber dass Merz dafür verantwortlich war, bezweifelte er nicht eine Sekunde.
Dafür hatte er schon zu viel erlebt mit diesem Menschen, und dass Friedrichs unter diesen Umständen …
«Befragen wir einige der jungen Leute, die teilweise bereits seit heute Nacht hier vor dem Anwesen ausharren.» Blankenburg hielt einer – keineswegs mehr jungen – Frau das Mikrophon vor die Nase. «Würden Sie sich als Fan von Marius bezeichnen?»
Die Frage war überflüssig wie ein Kropf: Über der ausladenden Oberweite der Dame wölbte sich ein schwarzes T-Shirt mit den kantigen Umrissen einer Gestalt und dem Schriftzug Second Chance.
«Sie …» Die Frau schluckte. Eine einzelne Träne fand den Weg über ihre Wange. «Sie können sich nicht vorstellen, was ich Marius verdanke. Vor … vor zwei Jahren. Ich … ich war einfach nur am Ende, vollkommen kaputt. Mein Mann, mein …» Eilig. «Mein Ex mann. Er hatte eine Jüngere, so ein blondes Dummchen und …» Sie schüttelte sich. «Nein», flüsterte sie. «So habe ich damals gedacht. Marius verdanke ich, dass ich die Dinge anders sehen, ihnen mit Verständnis begegnen kann. Mein ganzes Leben . Sehen Sie mich heute an: Ich bin eine glückliche Frau!»
Albrecht sah in erster Linie eine Frau, die sich mindestens eine Konfektionsgröße enger kleidete, als ihrer Erscheinung guttat.
Doch Blankenburg drehte sich bereits weiter. «Silvio Weismann, Sie sind einer der Organisatoren dieser Kundgebung.»
Graue Schläfen, Nickelbrille, distinguierte Erscheinung – wenn man vom schwarzen T-Shirt einmal absah, das identisch war mit dem Leibchen seiner Nebenfrau. Mit dem Unterschied, dass es in diesem Fall saß wie angegossen.
«Mit dem Begriff Organisator kann ich wenig anfangen», erklärte Weismann. «Wir möchten Marius unterstützen, doch Freunde von Marius sind keine Menschen, die irgendeinem Kommando folgen. Das wäre das Letzte, was der Meister sich wünschen würde.»
«Aber Sie haben dasselbe Ziel?»
Weismann nickte. «Marius hat vielen von uns in entscheidenden Momenten unseres Lebens geholfen. Heute sehen wir eine Chance, ihm etwas von dieser Hilfe zurückzugeben.»
«Sie haben Herrn Dr. Merz gehört. Marius scheint in Sorge zu sein, dass Ihre Unterstützung die Ermittlungsarbeiten behindern könnte.»
Weismann schüttelte ernst den Kopf. «Sehen Sie?», fragte er. «So ist Marius, der immer zuerst das Gute in den Menschen sieht. Das ist seine Lehre, die er an uns weitergibt. An sich selbst denkt er dabei zuallerletzt. Und deshalb sind wir hier.»
Für eine halbe Sekunde zog Blankenburg das Mikro zurück. « Das müssen Sie mir erklären.»
Albrecht knirschte mit den Zähnen.
Die Nachfrage kam so spontan, dass sie nur abgesprochen sein konnte.
Der Kameramann musste Instruktionen bekommen haben. Die Kamera zoomte Weismann heran.
Mit einer dramatischen Geste zog der Mann das Brillengestell von der Nase.
Sorgfältig einstudiert, dachte Albrecht.
Aber Klassen vom Charisma seines Idols entfernt.
«Waren wir nicht alle Zeugen gestern Abend?», fragte Weismann. «Wie einen Verbrecher hat diese Polizistin Marius behandelt! Wir sind gesetzestreue Bürger. Rücksicht auf andere, Achtung der Gesetze: Das ist es, was auch Marius lehrt. Aber wir werden ein Auge darauf haben, wie die Behörden mit dem Meister umgehen und ob sie es wagen, ihre Störaktionen bei Second Chance fortzusetzen. Und wenn sie das tun, wenn sie es wagen sollten, Marius weiterhin unter Druck zu setzen, werden wir unsere Stimmen erheben,
Weitere Kostenlose Bücher