Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
mit seinen Überzeugungen nichts ausrichten kann– vor allem nicht gegen solche Typen! Beweise! Wir hätten Beweise gebraucht!«
» Welche Beweise? Sag es mir!«
Verzweifelt und wütend sprang Sharko auf und trat vor seinen Chef.
» Dir ist ebenso klar wie mir, dass Colonel Chastel in die Sache verwickelt ist! Leite Ermittlungen gegen ihn ein. Mohamed Abane wollte der Fremdenlegion beitreten, und wir haben ihn zusammen mit vier anderen Leichen gefunden. Wenn du dich ins Zeug legst, reicht das dem Richter. Es geht um das Leben einer Polizistin.«
» Warum Henebelle? Was wollen sie von ihr?«
Sharko biss die Zähne zusammen. Er hatte keine Minute aufgehört, an die zierliche blonde Frau zu denken. Vielleicht war es seine Schuld, wenn sie dieselben Qualen durchmachen müsste wie er in der ägyptischen Wüste.
» Sie wollen sie als Geisel. Sie eintauschen gegen die Informationen über das Syndrom E, die ich nicht einmal habe. Ich habe nur geblufft.«
Leclerc schüttelte den Kopf, sein Gesicht war verzerrt.
» Und dieser Chastel soll so blöd gewesen sein, dich anzugreifen und sich so offenkundig zu outen? Ohne zu befürchten, dass die Männer, die er dir geschickt hat, von unserem Team bereits erwartet würden?«
Sharko sah seinem Chef und Freund fest in die Augen:
» Ich habe in Ägypten einen Mann getötet, Martin. Es war Notwehr, aber ich konnte nicht darüber sprechen. Sie hatten mich ohnehin schon auf dem Kieker, und Noureddine hätte keine Nachsicht walten lassen. Ich habe Chastel die Koordinaten der Stelle gegeben, die zu der Leiche führen. Er hat mich ebenso in der Hand wie ich ihn. Das ist unser Pakt.«
Martin Leclerc starrte ihn mit offenem Mund an. Er ging zur Bar und schenkte sich ein Glas Whisky ein, das er in einem Zug leerte.
» Verdammt…«
Langes Schweigen.
» Wen? Wen hast du getötet?«
Sharkos Augen wurden feucht. In den fast dreißig Jahren, die sie sich kannten, hatte Leclerc ihn nur selten in so einem Zustand gesehen. Ein Mann am Ende seiner Kräfte, völlig ausgelaugt.
» Den Bruder des Polizisten, der im Fall der ermordeten Mädchen ermittelt hat. Er hat seinem eigenen Bruder die Kehle durchschneiden lassen, und er hätte mich fast umgelegt. Es… es war ein Unfall.«
Leclercs Miene wechselte zwischen Abscheu und Zorn.
» Können die Ägypter eine Verbindung zu dir herstellen?«
» Dazu müssten sie zunächst seine Leiche finden. Und selbst wenn das der Fall wäre, deutet nichts auf einen Kontakt zwischen Abd el-Aal und mir hin.«
Der Leiter der OCRVP wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Sharko stand in seiner zerknitterten Jacke und mit hängenden Schultern hinter ihm.
» Ich bin bereit, für meine Dummheiten einzustehen und zu bezahlen. Aber vorher musst du mir helfen, Martin. Du bist mein Freund. Bitte.«
Sharko war verloren. Leclerc trat zu einem gerahmten Foto, das auf einem Schränkchen stand: Es zeigte ihn und seine Frau, an eine Brüstung oberhalb des Ozeans gelehnt. Er nahm es in die Hand und betrachtete es lange.
» Ich bin im Begriff, sie zu verlieren, weil ich zu integer sein wollte. Ich dachte, mein Beruf wäre wichtiger als alles andere, aber ich habe mich getäuscht. Was hat diese Polizistin mit dir gemacht, dass du so fertig bist?«
» Hilfst du mir?«
Leclerc seufzte und zog einen braunen Umschlag aus einer Schublade. Darauf stand geschrieben: »An den Polizeipräsidenten«.
» Bewahre mein Entlassungsgesuch auf, ich hole es mir wieder, wenn alles vorbei ist. Und nimm das Foto wieder mit und auch deine Erklärungen. Du bist nie hier gewesen. Und du hast mir nichts erzählt.«
Sharko griff nach dem Umschlag und drückte seinem Freund fest die Hand.
» Danke, Martin.«
Er ließ seinen Kopf auf die Schulter seines Chefs sinken und kämpfte mit den Tränen. Leclerc klopfte ihm auf den Rücken.
» Ich hoffe, sie ist es wert.«
» Ja, Martin, sie ist es wert…«
Kapitel 49
Der Mann neben Lucie nahm endlich seine Brille ab und legte sie zusammen mit dem Revolver ins Handschuhfach.
» Ich will Ihnen nichts Böses. Entschuldigen Sie diesen Überfall, aber es war nötig, damit Sie mir ohne viel Aufhebens folgen.«
Lucie spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel. Ohne sich von der Straße ablenken zu lassen, warf sie ihrem Beifahrer einen raschen Seitenblick zu: leuchtend blaue Augen unter dicken grauen Brauen.
» Wer sind Sie?«
» Fahren Sie weiter. Wir unterhalten uns später.«
Die Namen der Städte zogen vorbei: Terrebonne,
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