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Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Titel: Öffne die Augen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franck Thilliez
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hätte ich sie vergessen können? Ich kümmerte mich im Klostertrakt der Waisenkinder um sie, bevor ich mich in der Klinik Mont-Providence wiederfand. Der einzige Grund dafür war ein ›Mangel an Finanzmitteln‹. Ich dachte, ich würde die Kleinen nie wiedersehen, aber zwei Jahre später kamen sie zusammen mit zehn weiteren Mädchen ebenfalls ins Hôpital Mont-Providence. Die Mädchen dachten, sie würden einfach in ein anderes Heim umziehen, wie dies in der damaligen Zeit so häufig vorkam. Daran waren sie gewöhnt. Sie kamen mit der Bahn, strahlend, glücklich und sorglos, wie man es in diesem Alter noch sein kann…«
    Immer wieder unterbrach sie ihren Monolog durch langes, lastendes Schweigen. Die Erinnerungen wurden nur langsam wieder lebendig.
    » Nachdem sie im Hôpital Mont-Providence eingetroffen waren, haben sie rasch begriffen, wohin sie da geraten waren. Das Weinen und Schreien der Verrückten wurde vom Gesang der Nonnen übertönt. Die fröhlichen Gesichter der Neuankömmlinge mischten sich unter die schwer gezeichneten Gesichter der Geisteskranken. Da begriffen die Mädchen, dass sie diese Institution nie mehr verlassen würden. Diese mental völlig gesunden Waisenkinder erhielten unter der Federführung von Ärzten, die für den Staat arbeiteten, den Status von Zurückgebliebenen. Und das alles aus rein finanziellen Gründen, weil ein geistig Behinderter mehr einbrachte als ein uneheliches Kind. Und wir Nonnen hatten die Anordnung, sie zu behandeln, als wären sie verrückt. Wir mussten… unsere Pflicht erfüllen.«
    Die Stimme zitterte. Sharkos Finger krampften sich um das alte Holz.
    » Das heißt?«
    » Disziplin, Schikanen, Bestrafungen, Behandlungen… Die Unglücklichen, die rebellierten, wurden von einem Saal in den nächsten geschickt. In jedem folgenden Saal wurde es schlimmer, die Türen der Freiheit schlossen sich jedes Mal ein Stück weiter. Saal der Nonnen, Saal der Webstühle, Saal der grauen Mauern. Die Mädchen durften mit den Bewohnern der anderen Säle nicht kommunizieren, sonst drohten ihnen schwere Strafen. Sie wurden voneinander abgeschottet, man entfremdete sie der Normalität, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Wahnsinn, meine Kinder. Kennen Sie auch nur den Geruch des Wahnsinns? Es ist der des Todes und der Verwesung.«
    Die Nonne atmete mühsam. Sie holte lange und tief Luft.
    » Der letzte Saal, der, den man mir bei meiner Ankunft in Mont-Providence zugeteilt hatte, war der Saal des Martyriums. Ein abscheulicher Ort, in dem über sechzig erwachsene Geisteskranke aller Altersstufen hausten. Hysteriker, Debile, Schizophrene. Dort wurden auch die Vorräte an Medikamenten, chirurgischen Instrumenten und auch Vaseline gelagert…«
    » Wozu Vaseline?«
    » Um die Schläfen der Patienten vor der Behandlung mit Elektroschocks einzucremen.«
    Sie faltete ihre Finger mit den gelblichen Nägeln. Lucie konnte sich das Grauen der Tage an einem solchen Ort lebhaft vorstellen. Das Geschrei, die Platzangst, das Leiden, die geistigen und körperlichen Qualen. Patienten und Betreuer saßen im selben Boot.
    » Zusammen mit den gesunden Mädchen mussten wir die Kranken betreuen. Ihre Zellen säubern, ihnen zu essen geben, den Schwestern bei der Körperpflege helfen. Raufereien und Unfälle waren an der Tagesordnung. Es gab dort alle Arten von Verrückten– von harmlos bis hoch gefährlich. Waisenkinder, die sich renitent verhielten oder Fehler gemacht hatten, mussten manchmal eine Woche in einer Isolierzelle zubringen, festgebunden an einem Bettrost und ruhiggestellt mit Largactil, dem Lieblingsmedikament der Ärzte.«
    Sie hob einen Arm. Bei jeder ihrer Bewegungen knisterte der schwarze Stoff ihres Gewandes wie Krepppapier. Auch sie schien von einer Art Wahnsinn befallen. Sie war nicht unversehrt aus Mont-Providence davongekommen.
    » Die gesunden Mädchen, die in diesem Saal landeten, waren die Temperamentvollsten, die Widerspenstigsten und sicher auch die Intelligentesten, und sie hatten keine Chance, da wieder herauszukommen. Von den Krankenschwestern wurden sie genauso behandelt wie die Geisteskranken, ohne den geringsten Unterschied. Was wir, die wir sie jeden Tag betreuten, sagten, hatte kein Gewicht. Wir unterwarfen uns und gehorchten den Anweisungen, verstehen Sie?«
    » Welchen Anweisungen?«
    » Denen der Mutter Oberin, denen der Kirche.«
    » Waren auch Alice und Lydia im Saal des Martyriums gelandet?«
    » Ja. So wie alle Kinder aus der Klinik Charité. Ein solcher Zustrom in

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