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Öffnet den Himmel

Öffnet den Himmel

Titel: Öffnet den Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Aufrichtigkeit geworden: Die dominierenden Vorster hatten ihn im Moment ihres größten Triumphs auf der Erde grausam hintergangen und erschlagen.
    Das Buch von Lazarus erzählte diese traurige Geschichte. Unter Martells Haut kribbelte es, als er sie las:
     
    Lazarus war aufrichtig und ohne Falsch. Aber die Menschen, deren Herzen zu Stein geworden waren, kamen über ihn, erschlugen ihn in der Nacht und verfütterten seinen Leichnam an einen Konverter, so daß nicht ein Molekül von ihm übrigblieb. Und als Vorst von ihren Taten erfuhr, weinte er und sagte: „Ich wünschte, ihr hättet mich an seiner Stelle erschlagen; denn damit habt ihr ihm nun eine Unsterblichkeit verliehen, die er niemals wieder verlieren kann.“
     
    Martell konnte in den Harmonistenschriften eigentlich keine Stelle entdecken, an der etwas Negatives über Vorst gesagt wurde. Selbst die Ermordung von Lazarus wurde klar und deutlich als Werk von untergeordneten Kräften dargestellt, die das ohne jegliches Wissen Vorsts und gegen seinen Wunsch getan hatten.
    Und obwohl in den Schriften immer wieder die Hoffnung zum Ausdruck gebracht wurde, daß eines Tages der gemeinsame Glaube die beiden Bewegungen wiedervereinigen würde, betonten die Harmonisten doch ständig, daß diese Wiedervereinigung ihrerseits nur aus einer Position der Stärke und als absolut gleichwertiger Teil vonstatten gehen könne.
    Noch vor wenigen Monaten hätte Martell diese Ansprüche als völlig absurd angesehen. Auf der Erde waren die Harmonisten nur eine winzige Bewegung; von Jahr zu Jahr verloren sie weitere Mitglieder. Jetzt aber, wo er unter ihnen lebte, wenn nicht sogar gänzlich von ihnen lebte, begriff er, daß er ihre Macht furchtbar unterschätzt hatte. Die Venus gehörte ihnen. Die Hochstehenden mochten noch höhnen und ihre Messer ziehen, aber sie waren nicht länger die Herren dieser Welt. Bei den unterdrückten niedrigstehenden Venusiern gab es Esper – Telekineten immerhin –, und diese hatten ihr Schicksal in die Hände der Harmonisten gelegt.
    Martell arbeitete fleißig. Er lernte, er hörte zu. Und er fürchtete sich.
    Die stürmische Jahreszeit setzte ein. Aus den ewigen Wolken brachen Blitzzungen, die die ganze Venus beleuchteten. Wahre Sturzbäche von bitterem Regen überfluteten die flachen Ebenen, Bäume, die hundertfünfzig Meter hoch waren, wurden aus dem Boden gerissen und über große Entfernungen hinweggeschleudert. Von Zeit zu Zeit erschienen Hochstehende vor der Harmonistenkirche, um zu höhnen und zu drohen. Und im kreischenden Sturmwind brüllten sie ihren prahlerischen Trotz heraus, während im Gebäude grinsende niedrigstehende Jungen darauf warteten, ihre Lehrmeister, wenn nötig, zu verteidigen. Einmal sah Martell, wie drei hochstehende Männer sechs Meter weit vom Eingang fortgehoben wurden, als sie diesen aufbrechen wollten. „Ein Blitz hat dort eingeschlagen“, versicherten sie sich gegenseitig. „Ein Glück, daß wir noch leben.“
    Der Frühling brachte dann die Wärme zurück. Nackt bis auf seine fremdartige Haut arbeitete Martell mit Bradlaugh und Lazarus auf den Feldern. Noch unterrichtete er nicht. Mittlerweile kannte er sich recht gut in den Harmonistenlehren aus; aber es war alles von außen hineingestopft worden, und eine anscheinend undurchdringliche Mauer aus Skepsis verhinderte, daß die Lehren tiefer eindrangen.
    Dann, an einem dampfendheißen Tag, wo der Schweiß in Bächen aus den umgewandelten Poren der vier ehemaligen Erdmenschen rann, bereicherte Bruder Bradlaugh die gesegneten Reihen der Märtyrer. Es geschah ganz schnell. Sie arbeiteten auf den Feldern, ein Schatten zog über ihnen am Himmel dahin, und eine leise, innere Stimme in Martell schrie: „Paß auf!“
    Martell war unfähig, sich zu rühren. Aber dies sollte nicht sein Todestag sein. Etwas stürzte vom Himmel, ein schweres Etwas mit ledernen Flügeln, und Martell sah, wie ein meterlanger Schnabel in Bradlaughs Brust fuhr; danach sprudelte das kupferartige Blut hinaus. Bradlaugh lag ausgestreckt da, und der Würger saß auf ihm. Der große Schnabel wurde herausgezogen, und Martell hörte zerrende und reißende Geräusche.
    Man bedachte die Reste Bradlaughs mit den Beerdigungsriten. Bruder Mondschein leitete die Veranstaltung und rief danach Martell an seine Seite.
    „Jetzt sind wir nur noch drei“, sagte er. „Möchtest du unterrichten, Bruder Martell?“
    „Ich bin keiner von euch.“
    „Du trägst eine grüne Robe. Du kennst unseren Glauben.

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