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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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auf den Weg.«
    Auf ein Zeichen des Vaters rannte der Junge zu Zaq und schlang die Arme um den üppigen Mittelbau des Reporterveteranen.
    »Danke, Sah.«
    Zaq schob ihn verlegen zur Seite.
    Ich muss oft an unseren ersten Abend in Chief Ibirams Empfangszimmer denken. Wir waren mit dem Essen fertig. Es war noch zu früh, um schlafen zu gehen, und der Chief hatte sich mit seinem Bruder in einen Winkel zurückgezogen, in dem sie leise redeten und Radio hörten. Der Chief hatte lange mit einer Antwort gezögert, als Zaq ihn gefragt hatte: »Sind Sie hier glücklich?« Schließlich aber hatte er das Radio leiser gestellt und sich geräuspert. Er flüsterte seinem Bruder kurz etwas zu und dann wandte er sich an uns.
    Es war einmal ein Paradies, in dem sie lebten. Ein kleines Dorf in der Nähe von Yellow Island. Es fehlte ihnen an nichts, sie fischten und jagten und bestellten die Äcker und sahen ihren Kindern glücklich beim Aufwachsen zu. Alle im Dorf waren eng miteinander verbunden, waren Cousins und Onkel und Tanten und Brüder und Schwestern, und auch wenn sie durch Bäche und Flüsse und Wälder behaglich vom Rest der Welt getrennt lebten, blieben ihnen die Veränderungen, die überall um sie herum vor sich gingen, nicht völlig verborgen: die Abgasfackeln, die die Nachbardörfer den ganzen Tag und die ganze Nacht erleuchteten, und die Autos und Fernseher und Videogeräte in den Wohnzimmern ihrer Nachbarn, die zugelassen hatten, dass die Fackeln entzündet wurden. Einige Nachbarn brüsteten sich sogar damit, dass die Ölgesellschaften angeboten hatten, ihre Kinder nach Europa und Amerika zu schicken und zu Ingenieuren ausbilden zu lassen, damit sie eines Tages zurückkehrten und in Port Harcourt als Ölfachleute arbeiteten. Zum allerersten Mal war die einige und eng verbundene Gemeinschaft gespalten – denn wie konnte sie nicht versucht sein, wo doch die Fackel im Nachbardorf jede Nacht über ihnen leuchtete, deren Flamme lang und gewunden wie eine Schlange flüsterte, lockte, züngelte? Schon hatten die Männer von der Ölgesellschaft angefangen, ihnen, begleitet von wichtigen Politikern aus Port Harcourt, Besuche abzustatten, lange Unterredungen mit Chief Malabo, dem Head Chief, abzuhalten, der zugleich Chief Ibirams Onkel war.
    Eines Tages rief Chief Malabo das ganze Dorf am frühen Morgen zu einer Versammlung zusammen. Natürlich hatte er das Murren der jungen Leute vernommen, und das misstrauische Flüstern der Alten, die sich allesamt fragten, was er mit den Ölleuten und den Politikern besprach. Nun, sie hatten ein Angebot gemacht, sie hatten angeboten, das ganze Dorf zu kaufen, und mit dem Geld – und ja, es war eine Menge Geld, mehr Geld, als sich jeder überhaupt vorstellen konnte – und mit dem Geld konnten sie sich irgendwo anders neu ansiedeln und ein sorgenfreies Leben führen. Aber Chief Malabo hatte Nein gesagt, er hatte im Namen des ganzen Dorfes Nein gesagt. Hier war das Land ihrer Vorfahren, hier waren ihre Väter und die Väter ihrer Väter begraben. Sie waren hier geboren worden, sie waren hier aufgewachsen, hier waren sie glücklich, und auch wenn sie nicht reich geworden waren, war das Land gut zu ihnen gewesen, es hatte ihnen nie an etwas gefehlt. Was wären sie für Hüter des Landes, wenn sie es einfach verkauften? Und seht euch einmal die anderen Dörfer an, die das Ölgeld angenommen haben: Die Autos waren bereits kaputt und die billigen Fernseher und DVD-Geräte schon Schrott, und wo war der Rest des Geldes geblieben? Mit vollen Händen in den Bars von Port Harcourt hinausgeworfen, oder an Zweitfrauen und bei Trauerfeiern verschwendet, und jetzt waren sie schlimmer dran als vorher. Ihre Flüsse waren bereits vergiftet und taugten nicht mehr zum Fischen, und das Land brachte nur noch Gasfackeln und Pipelines hervor. Aber die Schlange, die Schlange im Garten wollte keine Ruhe geben, sie züngelte in einem fort, und der Apfel wurde mit jedem Tag größer und verlockender. Und schon patrouillierten weit entfernt in den umliegenden Gewässern die Boote der Ölgesellschaften, und manchmal schickten sie ihre Männer bereits ganz unverfroren ins Dorf, um Erd- und Wasserproben zu nehmen. Das Dorf hatte beschlossen, sie fern zu halten, indem es eigene Patrouillen aussandte, in Kanus auf die umgebenden Flüsse, bewaffnet mit Pfeil und Bogen und Keulen und ein paar wenigen Gewehren. Täglich aber fühlte Chief Malabo den Druck. Als Chief hatte er keine Kontrolle über die Entscheidung der Familien,

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