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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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wir uns fast ziellos über das trübe, undurchsichtige Wasser treiben, das immer neue Gestalt annahm, während wir darüber glitten. Manchmal war es wie eine Schlange, die sich geschwind und glitschig und giftig wand. Manchmal wie ein altes Juteseil, ausgefranst und zittrig und mit zerzausten und fedrig ausfasernden Enden. Wenn das frische Wasser schlagartig von einem dichten, sumpfigen Mangrovengebiet abgelöst wurde, das sich aus stehendem Brackwasser erhob, das gegen die Seitenwurzeln schlug, mussten wir das Boot schieben oder sein totes Gewicht auf den Schultern tragen, bis wir das Juteseil wiederfanden. Manchmal war es wie ein Pfeil, der uns gerade und unfehlbar auf seiner Spitze zahllose Meilen forttrug. Dann verdrängte der moschusartige, belebende Flussgeruch den fauligen Gestank des Sumpfes, und in diesen Augenblicken wurden wir uns des klaren Himmels über uns bewusst, als sähen wir ihn zum ersten Mal. Doch immer kehrten Sumpf und Dunst zurück und seltsame Dinge trieben an uns vorüber: ein Stofffetzen, ein schlingernder Baumstumpf, ein totes Huhn, ein aufgedunsener Hund mit dem Bauch nach oben, schwarze Vögel mit rastlos zwinkernden, ausdruckslosen Augen darauf, die an ihm herum hackten, mit ihren scharfen Schnäbeln wild in das weiche, verwesende Fleisch schnitten. Einmal entdeckten wir einen am Ellbogen abgetrennten menschlichen Arm, der an uns vorbei tanzte; die Finger öffneten und schlossen sich zur Faust, als lockten sie. Noch immer sehe ich diesen abgetrennten Arm in meinen Träumen, wie er davon treibt und manchmal verächtlich den Mittelfinger reckt, bevor er im dunklen Dunst verschwindet.
    Ungefähr eine Stunde, nachdem wir losgefahren waren, begann unser Motor zu stottern, spuckte einen dicken schwarzen Rauchklumpen aus und verstummte. Der Alte und sein Sohn fummelten am Motor herum und versuchten, ihn wieder in Gang zu bringen, doch schließlich gaben sie auf und wir wechselten uns beim Rudern ab. Wann immer wir konnten, machten wir am Flussufer Rast, und als wir das nächste Dorf erreichten, ging die Sonne bereits unter. Wir ließen das Boot am verlassenen Ufer liegen und machten uns auf die Suche nach einer Unterkunft für die Nacht.
    Es stellte sich heraus, dass es überhaupt kein Dorf war. Hier sah es aus wie in den Kulissen für einen Science-Fiction-Film: Die karge Landschaft lag unter Pipelines begraben, die aus der übelriechenden, ölgesättigten Erde trieben und sich in alle Richtungen zogen. Endlos liefen die Röhren über das gespenstische Gelände dahin, übereinander hinweg, untereinander hindurch, miteinander verbunden. Wir gingen landeinwärts, duckten uns unter den riesigen Röhren hindurch oder sprangen über sie hinweg; schwarz tränkte das Öl unsere Schuhe und Hosen. Der Alte führte mich an den Rand des Feldes und zeigte in die Ferne. Zaq gesellte sich zu uns.
    »Ölplattformen.«
    »Und warum haben die Rebellen die Pipelines hier nicht in die Luft gejagt?«
    »Weil die Ölgesellschaften sie dafür bezahlen, dass sie das nicht tun.«
    »Oder haben etwa die Ölgesellschaften die Soldaten bezahlt, die Rebellen fernzuhalten?«
    »Oder das. Ja.«
    Die Nacht verbrachten wir am Wasser, schlugen uns mit den Insekten herum, fanden bis zum frühen Morgen, als die strahlende Sonne die Insekten verjagte, kaum Schlaf. Als ich die Augen aufschlug, unterhielt sich der Alte mit Zaq. Sie standen am Ufer. Der Junge hockte im nassen Sand, hob träge Kiesel auf und warf sie gegen das Boot, lauschte dem dumpfen, hölzernen Geräusch, das sie beim Auftreffen verursachten, und hielt ab und zu inne, um einen Blick über die Schulter auf seinen Vater zu werfen. Ich stand auf und streckte mich. Der Alte rief dem Jungen etwas zu, offensichtlich untersagte er ihm, Steine gegen das Boot zu werfen, denn der Junge hörte augenblicklich auf und senkte den Kopf. Schon einen Augenblick später aber hob er, wie ein Schlafwandler, den nächsten Kiesel auf und warf ihn matt, diesmal aber ins Wasser, in dem er mit einem winzigen Plopp landete. Ich fragte mich, was der Alte Zaq erzählte. Er schaute Zaq nicht in die Augen, sondern auf den Boden, wühlte mit seinen nackten, knorrigen Zehen im Sand, fuchtelte manchmal mit der Hand, wenn er etwas besonders hervorheben wollte, und einmal zeigte er auch auf mich. Zaq sagte nichts; er starrte den Jungen an, eine Art zweifelnden, überraschten Ausdruck im Gesicht. Ich kehrte ihnen den Rücken zu. Wenn sie wollten, dass ich mich an dem beteiligte, was sie da

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