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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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starrte aber die ganze Zeit in seine düsteren, wachsamen Augen, und als ich aufgegessen hatte, reichte er mir eine Tasse Wasser, die ich in einem Zug austrank. Er schien mich so schnell wie möglich loswerden zu wollen, ich aber wollte ihn nicht einfach so verlassen, ich war neugierig zu erfahren, wer sich bei ihm befand, und ich hatte Fragen wie die, wo ich ein Boot finden könnte, die eine Antwort brauchten.
    »Ich bin dem Kampfgeschehen entkommen. Wer seid ihr?«
    In der Ecke erhob sich eine Gestalt und trat ins Licht, und ich erkannte eine Frau in
Bubu
und Umschlagtuch; ein Schal verhüllte fast ihr ganzes Gesicht. Noch mehr Gestalten rückten heran. Es war eine ganze Familie: Vater, Mutter und drei Kinder. Das jüngste, das ungefähr drei sein mochte, weinte, Tränen und Rotz liefen ihm über das von Insekten zerstochene und verdreckte Gesicht. Die Mutter und die Kinder hatten sich unter einem riesigen Laken zusammengekauert, und jetzt schauten mich die Kinder von außerhalb des Lichtkreises her an und der Ausdruck auf ihren Gesichtern sagte mir, dass sie mehr Mitleid mit mir empfanden als mich fürchteten. Sie waren schon einen ganzen Tag hier. Sie hatten sich in der Toilette eingeschlossen, als die Schießerei begann, und hinterher waren sie in dieses winzige Zimmer gezogen und verließen es nur, um auf die Toilette zu gehen oder etwas zu essen zu suchen. Der Mann war ein großer, fahrig aussehender Fischer und zuckte beim kleinsten Geräusch zusammen. Offensichtlich fürchtete er, zu Tode geängstigt, um die Sicherheit seiner Kinder. Ich überlegte, ob sich vielleicht in den anderen Zimmern weitere Familien aufhielten, unter Laken versteckt, das Weinen der Kinder unterdrückend, wartend, dass der Sturm sich verzog. Das Wasser und das Trockenfleisch hatten mich erfrischt, und ich stand auf.
    »Ihr solltet besser ins Lager gehen. Die Soldaten wollen in den nächsten Tagen niemanden von der Insel runterlassen. So lange werdet ihr hier nicht überleben können.«
    Die Frau schüttelte den Kopf und drückte die Kinder an sich. Er sah mich an und dann seine Frau und die Kinder. Ich war mir sicher, dass er tat, was immer sie sagte.
    »Wo finde ich ein Boot?«
    Er schaute sie an und sie nickte. Wir krochen von Haus zu Haus, sprangen vorwärts, hielten inne und er führte mich wieder in den Wald. Er brachte mich zum Ufer, und zwischen zwei dicken Bäumen, in einer tiefen Klamm, die bis zum Meer reichte, holte er unter Gras, Sand und Steinen ein Boot und zwei Ruder aus seinem Versteck in der Erde. Er half mir dabei, es zu Wasser zu lassen und zeigte mir die richtige Richtung. Das Meer war an dieser Stelle nicht breit, ich musste nur ans andere Ufer und würde dort auf den Fluss stoßen, der landeinwärts führte.
    Während das Boot hinaus glitt, winkte ich, und er blieb lange stehen und winkte auch. Einen Augenblick lang hatte er die unermessliche Verantwortung abgestreift, seine Familie zu beschützen, doch jetzt musste er zurück. Das lange Ruder brauchte ich schon bald nicht mehr – die Strömung war stark, die Wellen hoben und senkten sich, und es dauerte nicht lange, da befand sich im Boot ebenso viel Wasser wie im Meer. Die Wellen zuckten nach mir, weiß und flink und erschreckend, und trugen mich davon.
    Auf einer kleinen Sandbank, die mitten aus dem Meer ragte – dort hatten sie mich gefunden, erzählten sie mir. Von meinem Boot fehlte jede Spur, und ich war halb ohnmächtig und spuckte Wasser. Ein Trupp Dorfbewohner, der sich weit von seinem kleinen Dorf in Gefilde vorgewagt hatte, in denen man besser fischte, und wenn sie nicht so weit hinaus gefahren oder auch nur eine Stunde später dort vorbeigekommen wären, wäre ich jetzt tot, bloßliegend, kalt, den Bauch nach oben wie ein gestrandeter Fisch. Ich hatte es wohl bis zum Fluss geschafft, mehr zufällig als durch meine eigenen Anstrengungen. Ich erwachte in einem kleinen Zimmer, in dem Räucherfisch zum Trocknen in Regalen ausgelegt war. Von einem langen Haken an der Decke hing eine Funzel herab. In ihrem schwachen, rußigen Licht sah ich, das alles voller Fisch war, bis auf die Stelle an der Wand, an der ich auf einer Matte lag. Der Fischgeruch drängte mich kriechend zur Tür, und ich kotzte auf die Schwelle.
    Sie fragten nicht, wer ich war oder wohin ich wollte und warum ich hier war; sie fragten mich nur, ob ich mich kräftig genug fühlte weiter zu ziehen. Wir befanden uns in gefährlichen Wassern, und ich konnte eine entflohene Geisel sein. Das

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