Öl auf Wasser - Roman
ölverseuchten Wassern für sie bereit hielt? Die einsamen Dörfer, die Rohrleitungsstümpfe an den versiegten Quellen, deren Öffnungen versiegelt waren und die einfach aus der ölverbrannten Erde schauten, die allgegenwärtigen Pipelines, die kreuz und quer das Land durchzogen, die manchmal wie Wurzeln weit weg vom Baum aus der Erde sprossen, manchmal wie kranke Adern auf dem Rücken einer alten verschrumpelten Hand verliefen und manchmal auch in Schnörkeln wie eine unheilschwangere Inschrift auf einer Wand. Es mochte sein, dass das Schicksal sie die toten Fische und Krabben und Wasservögel am eigenen Leibe spüren lassen wollte, die an die verlassenen Ufer dieser winzigen Städte und Dörfer und Inseln trieben, jeden Morgen wieder, getötet vom Öl, das ihr Mann zu fördern half.
»Hört, ihr müsst mich zu Chief Ibiram bringen. Er ist mein Freund. Ich muss die Weiße treffen.«
Sie sahen einander an und schüttelten die Köpfe.
»Chief Ibiram weg. Is nich mehr hier. Sagt, er fort, weil so viel Kämpfe und Fischen so schlecht.«
»Und wohin ist er unterwegs?«
Sie zeigten alle in dieselbe Richtung: nach Norden. Das bedeutete Port Harcourt und erklärte, warum sie die Frau zu ihm geschickt hatten: damit er sie in einem seiner Boote mitnahm – so hatte sie die beste Gelegenheit, dahin zu gelangen. Da der ganze Clan unterwegs war, konnte sie mit ihnen ziehen, ohne entdeckt und erkannt zu werden.
18.
Es war nicht einfach: Zunächst musste ich sie davon überzeugen, dass ich genug Kraft hatte abzureisen, dann musste ich sie davon überzeugen, dass wir Chief Ibiram einholen konnten, wenn wir sofort aufbrachen. Als Worte nicht halfen, wedelte ich mit meinem dicken feuchten Bündel Geld, das mir James Floode gegeben hatte, vor dem stark behaarten Alten, und er nickte. Charles und Peter, zwei junge, bereitwillige und neugierige Männer, machten sich mit mir in einem der wenigen flusstauglichen Boote des Dorfes auf den Weg in Richtung Norden, und wir hofften, dass Chief Ibiram und sein Clan noch keinen allzu großen Abstand zwischen sich und uns gelegt hatten. Es stellte sich heraus, dass Charles Salomon und Isabel zu Chief Ibiram gebracht hatte. Er berichtete, dass Chief Ibiram und seine Leute ihre Siedlung gestern Abend zu später Stunde verlassen hatten, weil sie lieber im Schutz der Dunkelheit reisten, und uns, seiner Schätzung zufolge, mindestens zehn Stunden voraus waren, doch da sie mit Frauen und Kindern unterwegs waren, würden sie gezwungen sein, oft anzuhalten. Wenn wir ohne Pause fuhren – wir nahmen zwei Zusatzkanister Benzin mit, damit wir keine Tankstopps machen mussten – sollte es uns gelingen, sie vor Sonnenuntergang einzuholen.
Als wir am Flutgebiet vorüberfuhren, in dem Chief Ibirams Dorf einst gestanden hatte, bat ich die beiden Männer, ein wenig langsamer zu fahren. Der Ort sah trostlos aus: Die einzigen Anzeichen dafür, dass hier einst eine blühende Gemeinschaft gelebt hatte, bestanden in einigen Pfählen, die aus dem Wasser ragten, Teilen von Strohdächern, die im Schlamm verstreut lagen und einem Müllhaufen unter einem Baum. Das war alles, was übrig geblieben war.
Wir holten sie am frühen Abend ein – und ich stand kurz vor dem Zusammenbruch, weil ich vollkommen matt und erschöpft war. Meine beiden Führer hatten mir mehrmals angeboten, eine Pause einzulegen und auszuruhen, aber ich hatte darauf bestanden weiterzufahren, sodass sie mich jetzt unter den Achseln stützen mussten, als ich aus dem Boot stieg.
Die Gruppe lagerte in einem Waldstück unweit des Flusses, an dem ihre Boote, die mit ihren kärglichen Habseligkeiten beladen waren, am Ufer unter den Bäumen und neben den Felsen lagen. Sie hatten Zelte und Verschläge errichtet, und als wir vorüber gingen, schauten uns neugierige Gesichter durch die schmalen Türöffnungen an und einige erkannten mich sogar wieder. Junge Männer und Frauen und Kinder saßen unter den Bäumen, aßen oder spielten oder warteten einfach müßig auf den Anbruch der Nacht, um weiterzuziehen. Chief Ibirams Zelt stand ein wenig abseits der anderen.
»Schön dich wiederzusehen, Reporter.«
»Ebenfalls, Chief Ibiram.«
Er saß auf seinem Liegestuhl, das Radio auf einem Beistelltisch; ich saß ihm gegenüber auf einer Matte, und einen Augenblick lang schien es, als wäre die Zeit stehen geblieben seit jenem Tag, als der alte Mann und sein Sohn Zaq und mich zum ersten Mal zu dieser Gemeinschaft gebracht hatten. Derselbe Stuhl mit Tuchbezug,
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