Öl auf Wasser - Roman
Letzte, was sie wollten, war eine Schiffsladung Gewehre schwingender Rebellen, die an ihrem Strand landeten. Wenn ich hier weg wollte, musste ich wieder zu Kräften kommen. Mit übermenschlicher Konzentration schlürfte ich den dicken Maisbrei, den sie mir gaben, und dann musste ich hinaus und kotzte. Mit zitternden Händen bat ich um mehr. Vier Menschen schauten zu mir herunter: ein alter Mann, der auf einem klapprigen, handgeschnitzten Stuhl saß, hellhäutig, mit Haaren im ganzen Gesicht, die ihm außerdem noch wie Ranken aus Nasenlöchern und Ohren und unter den Achseln und aus dem Unterhemd wuchsen; eine fette Frau, die halb hinter ihm stand, das Haar weiß und knotig, und zwei schweigsame Männer im Schatten hinter der fetten Frau, die nicht viel sagten und kaum Haare auf dem Kopf hatten. Eine rußende Lampe hing von einem Haken an der Decke. Die Frau nahm mir die Schale aus den Händen und schüttelte den Kopf.
»Nichts mehr.«
Ich schlief ungefähr eine halbe Stunde und merkte nicht einmal mehr den Fischgeruch. Als ich munter wurde, ging es mir so gut, dass ich einen ganzen Fisch essen konnte. Seewolf. Die Barthaare in seinem unverletzten Gesicht sahen wie die Haare im Gesicht des Alten aus. Ich erklärte ihm, dass ich Journalist und auf dem Weg nach Port Harcourt war.
»Ah, Port Harcourt, sehr weit weg.«
Er hob die Hand und zeigte vage in irgendeine Richtung, und so, wie er das tat, und seinem unbestimmten, verständnislosen Gesichtsausdruck zufolge, konnte Port Harcourt auch auf dem Mond liegen. Die anderen nickten.
»Könnt ihr mir helfen?«
»Jeder will nach Port Harcourt. Du nimm Fähre von Irikefe.«
»Von Irikefe komm ich. Dort gibt es Kämpfe.«
Sie fragten mich wieder nicht nach Einzelheiten, obwohl sie doch von den Kämpfen erfahren haben mussten? Am Wasser verbreiteten sich Nachrichten schnell, von Insel zu Insel, von Bach zu Bach, Boot zu Boot, Hütte zu Hütte. Sie starrten mich weiter schweigend an, und die Lampe über uns verrußte immer mehr, ließ die Augen tränen. Es brauchte eine Weile, bis mir aufging, dass irgendetwas an dem Kommentar des Mannes seltsam war.
»Wie meinst du das, jeder will nach Port Harcourt? Wer wollte denn noch dahin?«
Sie sahen einander an. An ihren Augen konnten man ablesen, dass sie nicht einer Meinung waren – ob sie mir trauen sollten – einem Fremden, der gerade erst bei ihnen angespült worden war – oder nicht.
»Ich bin Journalist. Ihr könnt mir trauen.«
Die Frau sprach als erste. Sie sagte, eine Weiße wäre vor drei Tagen bei ihnen gewesen und hätte ein Boot nach Port Harcourt verlangt.
»War sie allein?«
»Nein. Ein Mann bei ihr. Hieß Salomon.«
Isabel Floode. Und Salomon, der gesuchte Fahrer. Die beiden waren in einem Boot gekommen, das Gesicht der Frau mit Holzkohle geschwärzt, sie hatte Männerkleidung getragen, das Haar unter einem Hut verborgen, doch die blauen Augen hatte sie nicht verstecken können, als sie näher gekommen war, und auch nicht die Stimme, die Sprache. Sie sah nicht besonders wohl aus. Ihre Arme waren von Wanzen zerbissen und zerkratzt, und sie hatte schwach ausgesehen, wäre aber entschlossen gewesen, sofort nach Port Harcourt weiter zu reisen. Weil sie erst spät angekommen waren, blieben sie über Nacht. Sie sprachen nicht viel darüber, woher sie kamen oder wer sie waren, aber sie versprachen den Dorfbewohnern viel Geld, wenn sie ihnen halfen, am nächsten Morgen nach Irikefe zu gelangen, von wo aus sie die Fähre nach Port Harcourt nehmen wollten. Dann aber waren die Kämpfe ausgebrochen.
»Wo ist sie jetzt?«
»Wir sie geschickt zu Chief Ibiram.«
»Zu Chief Ibiram?«
»Ja. Haus nich weit.«
Ich sah mich in dem kleinen Zimmer um. Drei Gesichter starrten mich an. Ich versuchte, mir die Frau in diesem Raum vorzustellen, ihr Leben in Salomons Hand und von diesen einfachen Fischern abhängig. Bis jetzt hatte ich sie mir nur als Objekt vorgestellt, wenn ich überhaupt an sie gedacht hatte, aber jetzt, vielleicht auf Grund meines geschwächten Zustandes, ertappte ich mich dabei, wie ich mir vorzustellen versuchte, was ihr durch den Kopf gegangen sein mochte. Wie hatte sie es geschafft, zu fliehen und dann so weit zu kommen, nur um feststellen zu müssen, dass auf Irikefe gekämpft wurde? Warum hatte sie sich nicht an die Soldaten gewandt? Ich sah zum Wald und den verlassenen Booten am Wasser hinaus. Auf die wenigen strohgedeckten Hütten, und ich überlegte, was das Schicksal wohl an diesen
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