Öl-Connection
einigen Tagen werden die Küsten von Teneriffa zerstört sein. Denken Sie doch einmal daran, was nach dem großen Erdbeben in Italien passierte! Der Ministerpräsident besuchte die Betroffenen. Der Papst fuhr in die zerstörten Gebiete, betete voll Inbrunst, segnete die obdachlosen Menschen, predigte auf öffentlichen Plätzen. Und das war's dann. Bittgottesdienste! Hier wird es nicht anders laufen!«
Der anwesende Bischof von Santa Cruz blickte den Bürgermeister strafend an: »Der Heilige Vater hat Gott um Hilfe gebeten …«
»Und hat er geholfen? Die ganze Welt hat damals für die Erdbebenopfer gesammelt, Tausende von Freiwilligen halfen vor Ort und bargen die Toten und Verletzten. Aus Rom kamen nur salbungsvolle Worte, und die Kassen des Vatikans blieben verschlossen.« Der Bürgermeister hieb mit beiden Fäusten auf den Tisch. »Worte, Worte, nichts als Worte … Darauf kann ich verzichten!«
»Und was schlägst du vor, mein Sohn?« fragte der Bischof indigniert. »Gottes Segen hilft immer. Er lindert die Not der Herzen.«
»Ich habe auch keine Vorschläge.« Der Bürgermeister sank auf einen der Stühle. »Ich sehe nur, wie meine Insel vernichtet wird …«
So verlief die Konferenz genau so, wie man erwartet hatte: Man war sich darüber einig, daß es im Augenblick nichts gab, was die Katastrophe aufhalten konnte. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Ölteppich ausbreitete, ließ keine Zweifel darüber, daß Teneriffa darunter begraben werden würde.
Der Generaldirektor der Handelsflotte zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Alaskakarte. »Dort hat es 56 Tage gedauert«, sagte er, sich selbst damit Trost zusprechend, »bis die Küste auf 750 Kilometer Länge verschmutzt war! 56 Tage … was kann da noch alles passieren!«
»In Alaska war man genauso hilflos wie wir jetzt«, sagte der Bürgermeister von Puerto de la Cruz. »Was soll sich in 56 Tagen ändern?!«
»In der Nordsee wütet ein Orkan. Wenn die Ausläufer davon auf den Atlantik übergreifen, werden davon auch die Strömungen um die Kanarischen Inseln beeinflußt.«
»Das ist eine vage Hoffnung …«
Der Bürgermeister sprang von seinem Stuhl auf. »Was wir brauchen, sind hundert Schiffe mit Chemikalien, die das Öl binden und auflösen! Die fallen nicht vom Himmel!«
»Auch das hat seine Schattenseiten.« Einer der Meeresbiologen riß seine Aktentasche auf und warf einen Packen Papier auf den Tisch. »Zusammenstellungen und Tabellen, das Übliche … und doch der Beweis, daß die Menschheit untergehen wird, wenn nicht international etwas geschieht. Der Kampf gegen das Öl ist bereits verloren, nicht aber der Kampf gegen die Interessen der Weltwirtschaft und die Macht der Öl-Connection. Ich darf vortragen …«
»Bitte!« sagte der Ministerpräsident. »Wieso gibt es bei der Ölbekämpfung Schattenseiten?«
Der Experte rückte seine Brille zurecht und begann nun in aller Sachlichkeit und notwendigen Breite, das Funktionieren, die chemische Zusammensetzung sowie den Umgang und die Kontrolle von Lösungsmitteln bei Ölteppichen darzulegen. »Meine Herren«, schloß er seine Ausführungen, »spätestens seit der Exxon Valdez ist man zu der eindeutigen Erkenntnis gekommen, daß die Verwendung von chemischen Lösungsmitteln die unmittelbaren ökologischen Schäden erhöht und sogar die Wiederherstellung eines ökologischen Gleichgewichts der Natur behindert.«
Als der Biologe seinen Exkurs beendete, hatte sich allgemeines Entsetzen breitgemacht.
Der Verkehrsminister war der erste, der seine Sprache wiederfand. »Aber das ist doch eine glatte Bankrotterklärung«, sagte er und atmete schwer. »Was gibt es denn anderes als die chemische Bekämpfung? Sollen wir die Ölklumpen von Teneriffa abkratzen? Natürlich haben alle Methoden ihr Risiko! Doch es bleibt abzuwarten, welche Schäden größer sind … das muß erst abgewägt werden.«
»Abzuwägen gibt es hier nichts … das Öl wird die Küsten erreichen! Niemand kann es aufhalten. Keine Kunststoffschläuche, kein Abpumpen, keine Chemie. Außerdem …« Der Wissenschaftler strich sich über die Stirn. Das ist ja noch nicht alles, dachte er.
»Was gibt es denn sonst noch zu berücksichtigen?« rief der Ministerpräsident. »Nun legen Sie doch endlich alle Karten auf den Tisch! Die volle Wahrheit!«
Der Biologe nickte, griff nach einem anderen Blatt Papier, rückte wieder seine Brille höher auf die Nase und setzte dann noch einmal an: »Bisher habe ich mich in meiner Darstellung
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