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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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eine andere, aber dies war sein erstes derartiges Abenteuer, und so sagte er die Wahrheit, und ihr Lächeln unter Tränen glich der Sonne nach einem Aprilschauer. Ihre Stimme stockte kurz, als sie flüsterte: «Wie dumm von mir, Tränen machen eine Frau hässlich, wir wollen das Licht ausschalten.» Sie zog an dem goldenen Kettchen und war nicht mehr im Geringsten hässlich, sondern nur noch wohlriechend, als sie mit beiden Händen seine Hand umklammerte und flüsterte: «Meinst du, Bunny, du kannst mich ein kleines bisschen lieben?»
    Irgendwie musste er es ihr sagen. «Mrs Norman», begann er, aber sie unterbrach ihn: «Thelma.»
    Er stammelte: «Thelma, ich hatte nicht vor …»
    «Ich weiß, Bunny, ich bin älter als du, aber schau dir diese Gänschen an, die nichts im Kopf haben! Und glaub mir, ich hab dich wirklich gern, ich würde alles für dich tun, dir alles geben, was du willst.»
    Bunny lernte einiges aus diesem Vorfall. Er wusste, dass er nur die Arme auszustrecken und sie zu nehmen brauchte, und er wusste, was er zu tun hatte – Eunice Hoyt hatte ihm beigebracht, wie man eine Frau liebt. Er hätte sie mit sich reißen können, bis sie vor Wonne verging, dann wäre sie von Stund an seine Sklavin gewesen; er hätte alles haben können, was ihr gehörte, hätte sie misshandeln oder mit ihrem Geld andere Frauen aushalten können – sie wäre trotzdem seine Sklavin geblieben. Mit einem Mal verstand er so einiges, was sich in diesem Spielerparadies vor seinen Augen zutrug. Manche Männer, die Bunnys stolze Gleichgültigkeit gegenüber Luxus und Macht nicht teilten, arbeiteten ganz bewusst darauf hin, Fortuna zu verführen; sie gebrauchten ihre körperliche Anziehungskraft und ihr gewandtes Auftreten als Jagdwaffen. Für solche Männer gab es viele Bezeichnungen: Salonlöwe, Galan, Gigolo, Romeo oder Scheich. Wie viele Jahre hatte der alte August Norman geschuftet, um ein großes Stahlwerk, ein schwimmendes Herrenhaus im Ozean und ein noch zehnmal größeres an der Küste zu bauen, und nun waren all diese Reichtümer auf geheimnisvolle Weise in einem einzigen weiblichen Körper vereinigt, der gekleidet war in – nun ja, der Kimono war abgestreift, und übrig blieb ein Nachthemd, ein hauchdünnes Nichts, ein schwacher süßlicher Duft, zwei weiche, zärtliche Arme und Lippen, die ihn heiß und feucht küssten. «Bunny», flüsterte die Stimme, «ich würde dich heiraten, wenn du mich willst. Ich würde dir alles geben, worum du mich bittest.»
    Bunny hatte bei Eunice erfahren, dass Lippen einen zur Liebe bereiten Mann verführen können; jetzt erlebte er bei Mrs – nein, bei Thelma, dass sie auf einen nicht ganz so bereiten abstoßend wirkten. «Sie wissen doch, Thelma», wandte er ein, «ich brauche nichts.»
    «Ich weiß, und es ist furchtbar ordinär von mir. Aber ich versuche auf meine armselige, stümperhafte Weise, dir begreiflich zu machen, dass ich dich gern habe, und du darfst nicht schlecht von mir denken!»
    Damit hatte sie ihm ein Stichwort geliefert, und er versprach ihr, dass er niemals schlecht von ihr denken werde, nur liebe er sie nicht, sondern habe sie immer als Freundin gesehen. Langsam lockerte sich ihr Griff; sie sank neben dem Bett zu einem jämmerlichen Häufchen zusammen und schluchzte, jetzt werde er sie bestimmt verabscheuen und sie nie mehr sehen wollen.
    Er widersprach, das sei nicht der Fall, daran sei nichts Ehrenrühriges, und nur weil man jemand zufällig nicht liebe, sei das kein Grund, sich zu streiten. Sie war in einem Maße unterwürfig, dass sie ihm leidtat und er die Hand ausstreckte, um sie zu trösten. Doch er merkte sofort, dass das nicht gut ging; sie ergriff seine Hand und küsste sie, und er wurde durch sein Mitgefühl in Versuchung geführt. Schon im achtzehnten Jahrhundert hat ein englischer Poet erkannt, dass Mitleid die Seele zur Liebe bewegt. 69 Diese Dinge muss man im Voraus bedenken und sich Verhaltensgrundsätze zulegen. Bunny hatte sich vorgenommen, erst wieder eine Frau zu umarmen, die er wirklich liebte, und die klare, kühle Stimme der Vernunft sagte ihm, dass er Charlie Normans Mutter nicht liebte; es würde nur eine Affäre dabei herauskommen, und sie wären nicht lange glücklich miteinander. So erwiderte er freundlich, er halte es für besser, wenn sie jetzt gehe, und langsam und traurig griff sie nach ihrem Kimono und erhob sich.
    «Bunny», sagte sie, «die Menschen haben eine schmutzige Fantasie. Wenn sie hiervon hören, denken sie das

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