Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
die über das Niveau eines zwölfjährigen Kindes hinausgeht. Sie halten das vielleicht für einen Scherz, aber ich weiß tatsächlich, das Perry Duchane immer ein paar Schulkinder zusammentrommelt und ihnen das Drehbuch erzählt, und wenn darin etwas vorkommt, was ihnen nicht gefällt, streicht er es raus.» Zu Annabelle sagte sie: «Es genügt den Anforderungen, meine Liebe, es wird sich schon verkaufen.» Und dann wieder zu Bunny: «Ein Gutes hat Annabelle: Sie ist mit einem solchen Urteil zufrieden; sie fragt nicht, ob es ein Kunstwerk ist. Andere tun das sehr wohl, und ich habe mir schon Menschen zu Todfeinden gemacht, weil ich niemanden anlüge. Ich sage immer: ‹Lass die Kunst aus dem Spiel, Schätzchen, wir wissen doch, dass wir hier nur Kitsch produzieren.›»
    Dann kam es zu einem Gespräch über technische Details, und Bunny lernte bei dieser Gelegenheit so manches über die Tricks des Schnitts. Außerdem erfuhr er, was einige von Annabelle Ames’ Filmen brutto eingespielt hatten, sowie vertrauliches Zahlenwerk über andere Kassenschlager. Tommy Paley hatte sich kürzlich den Luxus erlaubt, einen künstlerisch wertvollen Film zu drehen, den die Zeitungen als Klassiker bezeichneten; er und seine Freunde saßen schließlich mit über hunderttausend Miesen da. Er verbuchte es als Lehrgeld und sagte: «Sollen doch die Deutschen diesen Kunstkram drehen!» 76
    Während dieser ganzen Zeit war eine stumme, geisterhafte Gestalt in weißer Leinenjacke und -hose und wattierten purpurnen Pantoffeln durch die Kathedrale gehuscht, der chinesische Boy, der ein Tablett mit kleinen Gläsern voll rosafarbenen, gelben, purpurnen und grünen Flüssigkeiten vor sich hertrug. Er ging von Gast zu Gast und präsentierte sein Tablett; leere Gläser wurden abgesetzt, volle entgegengenommen, und den ganzen Abend gab das Gespenst keinen Ton von sich, und niemand sprach einen Ton mit ihm. Vor dreihundert Jahren hatte ein englischer Dichter, von der Filmwelt längst vergessen, die Frage gestellt, warum wir einen bösen Feind in den Mund nehmen, damit er uns das Gehirn stehle, 77 aber hier im Kloster schien die Befürchtung umzugehen, einer könne vergessen, den bösen Feind in den Mund zu nehmen – deshalb dieses chinesische Gespenst, damit man nicht selbst daran denken musste.
    Einige wenige tranken nicht; Annabelle gehörte zu ihnen und auch Vee Tracy. Das Gespenst hatte offenbar Anweisung, nicht zu Vernon Roscoe zu gehen, und wenn Vernon versuchte, sich seinerseits dem Gespenst zu nähern, ertönte ein scharfer Warnlaut: «Na, Verne!?» Aber andere tranken, und im Lauf des Abends lockerten sich die Zungen, und Herzen wurden ausgeschüttet. Selbst in Fred Orpan kam etwas Leben, und es zeigte sich, dass auch er eine Zunge besaß. Vernon Roscoe hatte die Angewohnheit, alle anderen zu «verkohlen», und nun wurde es ihm heimgezahlt, als der ehemalige Rancher aus Texas sich in seinem Stuhl aufrichtete, sein langes Pferdegesicht aufklappte und mit einer Falsettstimme wie ein Bauchredner fragte: «Weiß hier einer, wie dieser alte Halsabschneider seine Karriere begonnen hat?»
    Offenbar wusste es niemand, und Orpan stellte eine zweite Frage: «Hat ihn schon mal einer schwimmen sehen? Wetten, dass nicht! Draußen sagt er, es ist ihm zu kalt, und drinnen ist es ihm zu schmutzig oder sonst was. Und warum? Ihm fehlt ein Zeh, und er hat Angst, dass ihm da einer draufkommt. Wie er nämlich sein erstes Loch gebohrt hat, wurde auf einmal das Geld knapp, und er war total am Ende. Also hat er eine Unfallversicherung abgeschlossen, ging auf Karnickeljagd und hat sich einen großen Zeh weggeschossen. Auf die Art kam er an das Geld, um weiterbohren zu können. Stimmt’s oder hab ich recht, altes Haus?»
    Die Gäste lachten fröhlich und verlangten eine Antwort, und Vernon lachte mit ihnen. Er hatte nichts gegen diese Geschichte, wollte sich aber nie dazu äußern. Stattdessen schlug er nun zurück: «Ihr müsstet mal hören, wie dieser alte Halunke den Indianern einträgliches Ölland abgeschwatzt hat! Man erzählt sich das von einem Dutzend Ölmännern, aber in Wirklichkeit war es Fred, ich weiß das, weil ich dabei war. Fred hatte dem alten Häuptling Leatherneck von den Shawnees ein Achtel Förderzins angeboten, und der alte Knacker verdrehte die Augen und sagte: ‹Nicht nehmen Achtel, will Sechzehntel.› Fred sagte, das könnte er sich nicht leisten, und bot ihm ein Zwölftel, aber der andere sagte immer nur: ‹Sechzehntel oder kein

Weitere Kostenlose Bücher