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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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klassenbewusst, erbärmlich in ihrem schäbigen, abgetragenen Mantel und mit einem verblichenen, altmodischen Hut – Rachel sollte nicht denken, dass er sie in dieser noblen Umgebung übersah! Schnurstracks ging er zu ihr hin. «Guten Tag, Miss Menzies! Ich habe nicht gewusst, dass Sie sich für Filme begeistern.»
    «Tu ich auch nicht», antwortete sie. «Aber ich wollte sehen, was sie mit der Russischen Revolution angestellt haben.»
    «Für uns war nicht viel dabei», sagte Bunny, und sie erwiderte grimmig: «Nein, wahrhaftig nicht.»
    Er hätte sich gern mit ihr unterhalten, aber nicht hier. «Kann ich Sie nach draußen bringen?», fragte er und sah sich um, als suche er einen Weg durch die Menge.
    In diesem Augenblick erschien Vee. Trotz des Gedränges der Prominenz, trotz des vielen Lobes, mit dem sie überschüttet wurde, gab es nur eins, was ihr wirklich wichtig war, und das war Bunny – sie wollte nicht von ihm getrennt werden. Und jetzt fühlte sich der junge Idealist natürlich noch mehr an seiner Ehre gepackt. Er durfte sich nicht scheuen, seine schäbige Arbeiterfreundin der prächtigen Dame in Hermelin und Perlen vorzustellen. «Darf ich Sie mit Miss Viola Tracy bekannt machen?», sagte er. «Vee, das ist Miss Rachel Menzies, eine Kommilitonin von mir.»
    Auch für Vee war es Ehrensache, sich herzlich zu geben. «Oh, guten Tag, Miss Menzies!» Sie streckte ihr die Hand entgegen.
    Rachel machte keinerlei Anstalten, sie zu ergreifen, sondern stand starr und steif da und antwortete: «Guten Tag, Miss Tracy.»
    Für Bunny, der sie kannte, klang ihre Stimme fremd und belegt, aber Vee konnte ja nicht wissen, wie sie sich sonst anhörte, und die Hand hatte sie ihr vielleicht aus Schüchternheit verweigert, schließlich stand sie vor der an diesem Abend bedeutendsten Person in ganz Hollywood. Immer noch herzlich fragte Vee: «Und wie hat Ihnen der Film gefallen?»
    Bunny hörte diese Frage – gefährlicher als jede Bombe eines Stellvertreters des Teufels! Händeringend suchte er in seinem bestürzten Gehirn nach etwas, was er sagen konnte – «Miss Menzies ist Sozialistin, wie ich» – irgendetwas Spaßiges, aber bevor er seine Zunge in Bewegung setzen konnte, hatte Rachel schon rasch und grausam geantwortet: «Ich finde, es ist das Ekelhafteste, was ich jemals auf einer Leinwand gesehen habe.»
    Dies war nicht mehr als Schüchternheit oder dergleichen zu deuten, und Viola Tracy starrte dieses irritierende Geschöpf an. «Was Sie nicht sagen, Miss!»
    «Ja, und alle, die daran mitgearbeitet haben, werden eines Tages das Blut von Millionen jungen Männern auf dem Gewissen haben.»
    Bunny mischte sich ein. «Schau, Vee …»
    Aber Vee streckte die Hand aus, um ihm Einhalt zu gebieten. «Warte! – Ich möchte wissen, was Sie damit meinen!»
    «Ich meine, dass dieser Film Teil der Propaganda ist, die uns in einen Krieg mit Russland treibt, und eine Frau, die sich für eine solche Arbeit hergibt, ist eine Schande für ihr Geschlecht.»
    Vee starrte sie an, und Wut flammte in ihrem Gesicht auf. «Sie Schlampe!», rief sie, ihre Hand schnellte vor, und – klatsch! – verpasste sie Rachel eine Ohrfeige.
    Einen schrecklichen Augenblick lang stand Bunny wie betäubt da, er sah, wie Rachel die Röte ins Gesicht stieg und die Tränen in die Augen schossen, dann sprang er zwischen die beiden und ergriff Vees Hand, um sie an einem weiteren Schlag zu hindern. «Nein, Vee, nein!» Ein stämmiger Polizist tat ein Übriges und stellte sich trennend zwischen die beiden Gegnerinnen, und Rachel tauchte in der Menge unter – was sehr einfach war, da alle anderen nach vorn drängten. Trotz aller Verwirrung nahm Bunny wahr, dass nun etwas ganz Entsetzliches passierte – ein junger Mann stieß bis zu ihnen vor und fragte: «Was gibt’s? Was ist los? Was ist passiert, Miss Tracy? Hat es Unannehmlichkeiten gegeben, Wachtmeister?» Bunny flüsterte Vee ins Ohr: «Schnell, ein Reporter!» Er packte sie am Arm, und sie flohen durchs Gedränge.
    15
    Als sie endlich im Auto saßen und Bunny fuhr, flüsterte Vee: «Wer ist diese Frau?»
    «Sie stammt aus einer jüdischen Familie; alle sind Bekleidungsnäher. Ihr Vater wurde neulich festgenommen – erinnerst du dich, dass ich dir davon erzählt habe?»
    «Oh! Dieses Mädchen!»
    «Ja. Du hast ihre Klassenehre mit Füßen getreten, verstehst du.»
    Vee biss noch immer die Zähne zusammen. «Oh, dieses abscheuliche Geschöpf!»
    «Aber Vee! Vergiss nicht, du hast sie nach ihrer

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