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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Ablenkung, keine gesellschaftlichen Pflichten, keine unerwarteten Besucher, kein Umkleiden zum Dinner. Sie waren den ganzen Tag und die ganze Nacht zusammen. Bunny erkannte, dass sie vollkommen glücklich waren, solange sie sich körperlich betätigten: Kanuausflüge machten, neue Kniffe beim Fischen entwickelten, mit der Kamera auf die Jagd gingen, Stromschnellen hinuntersausten, Lager aufschlugen und nach Indianerart Feuer machten – was es auch sein mochte. Aber sie mussten immer etwas unternehmen, sonst tat sich zwischen ihnen ein riesiger Abgrund auf. Denn was sollte Vee tun, wenn Bunny lesen wollte?
    Einmal am Tag kam ein kleiner Dampfer über den See und brachte Vorräte und ein Paket mit Post, darunter Zeitungen aus Angel City und den wöchentlichen Streikbericht der Ölarbeiter, den Bunny unklugerweise abonniert hatte. Welchen Sinn hatte es, dreitausend Meilen vor dem Unglück davonzulaufen und es sich dann in einem Postsack nachschicken zu lassen? Wenn Bunny Berichte über die Szenen las, die er so gut kannte – Versammlungen, Hilfsdienste, das Auftreiben von Geldern, die Kämpfe mit den Wachmännern, die Festnahmen, das Leiden der Männer im Gefängnis, das Verprügeln von Streikposten, die Unverschämtheit des Sheriffs und anderer Beamter, die Verlogenheit der Zeitungen – fühlte er sich, als wäre er in Paradise. Paul gehörte zur Führung, Paul war mittlerweile Tom Axtons rechte Hand, seine Reden wurden zitiert und auch seine Erfahrungen im Bezirksgefängnis von San Elido. Wenn Bunny die kleine Zeitung ausgelesen hatte, war er dermaßen erschüttert, dass er für den Rest des Tages nicht mehr er selbst war. Vee bekam das natürlich heraus und versuchte, ihn vom Lesen abzuhalten. Ob er nicht seinen Teil geleistet habe, indem er den Streikenden ihren Anführer zurückgegeben habe? Und ob er nicht versprochen habe, es ihr, Vee-Vee, seinem Schatz, den ganzen Sommer lang mit Liebe und Zärtlichkeit zu entgelten?
    Bunny rang mit sich, in den wenigen freien Minuten, die ihm blieben. Er sagte sich, dass er seinem Vater half – eine ehrbarere Rechtfertigung, als eine Geliebte zu unterhalten. Aber hatte sein Vater das Recht, so viel zu verlangen? Hatte überhaupt ein einzelner Mensch das Recht, den Rest der Menschheit zu verdrängen? Wenn die Jungen die Pflicht hatten, sich für die Alten zu opfern, wie sollte es dann jemals einen Fortschritt auf Erden geben? Während die Zeit verstrich und der Kampf auf den Ölfeldern immer heftiger und das Leid der Arbeiter immer offensichtlicher wurde, gelangte Bunny zu der sicheren Erkenntnis, dass seine Flucht Feigheit gewesen war.
    Er versuchte Vee diesen Standpunkt klarzumachen, aber er redete gegen eine Wand. Für sie war das kein Gesprächsthema, sondern eine Sache des Instinkts. Sie glaubte an ihr Geld; sie hatte dafür gehungert, hatte ihren Körper und ihre Seele dafür verkauft und wollte es unbedingt behalten. Bunnys sogenannte «Radikalenbewegung» bedeutete für sie, dass andere ihr das Geld wegnehmen wollten. Er entdeckte einen seltsam harten Zug an ihr. Für Seidenkleider, Pelze, Schmuck, Autos und Partys gab sie großzügig Geld aus, aber das hatte berufliche Gründe, das gehörte zu den Werbungskosten. Wo es nicht ums Zurschaustellen ging, wo das Publikum keinen Zugang hatte, da knauserte sie. Einmal hörte er zufällig, wie sie mit einer Waschfrau über den Lohn für das Bügeln jener zarten Nachtgewänder stritt, in denen sie seine Seele verführte.
    Nein, aus diesem Liebling der ganzen Welt konnte er niemals eine «Radikale» machen, darüber musste er sich im Klaren sein. Sie würde ihm zuhören, weil sie ihn liebte, den Klang seiner Stimme liebte, selbst wenn er Unsinn redete; sie würde halbherzig so tun, als gäbe sie ihm recht, dabei war es die ganze Zeit, als hätte er die Masern und sie wartete nur darauf, dass er wieder gesund würde; als wäre er betrunken, und sie versuchte, ihn «trocken» zu bekommen. Sie hatte sich bei Rachel entschuldigt und Paul aus dem Gefängnis geholt, doch nur ihm zuliebe, in Wirklichkeit hasste sie diese beiden Menschen. Noch unversöhnlicher und mitleidloser aber hasste sie Ruth – ein ränkeschmiedendes kleines Biest, das die naive Landjungfer spielte, um einen Ölprinzen an Land zu ziehen. Wenn man Vee glaubte, war jedoch keine Frau naiv, und verdammt wenige waren Jungfrauen.
    Ruth blieb ein ewiges Ärgernis. Gerade als Vee und Bunny besonders glücklich waren, bekam er ein weiteres Telegramm – ihr Bruder saß

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