Öl!
«Memento mori!» 15
KAPITEL 4
Die Ranch
1
Bald darauf war es an der Zeit, dass Bunny wieder einmal seine Mutter besuchte.
Bunnys Mutter trug nicht wie die Mütter anderer Jungen Dads Namen; sie hieß Mrs Lang und lebte in einem Bungalow am Stadtrand von Angel City. Gemäß einer Vereinbarung hatte sie das Anrecht, Bunny zweimal im Jahr für jeweils eine Woche bei sich zu haben; Bunny wusste immer, wann diese Zeit näher rückte, und sah ihr mit gemischten Gefühlen entgegen. Seine Mutter war lieb und überschüttete ihn mit all den Zärtlichkeiten, die er sonst so vermisste; «hübsche kleine Mamma», nannte sie sich selbst. Andererseits war ihm der Besuch peinlich, denn es gab Dinge, die eigentlich vor Bunny verheimlicht werden sollten, die er aber unweigerlich erriet. Mamma befragte ihn nach Dads Lebensumständen, dabei wollte Dad nicht, dass man darüber sprach. Außerdem klagte Mamma, sie habe nie genug Geld; Dad bewillige ihr nur zweihundert Dollar im Monat, und wie sollte eine alleinstehende, bezaubernde junge Frau von einem solchen Betrag existieren können? Nie konnte sie ihre Tankrechnung bezahlen, und das erzählte sie Bunny und hoffte, er werde es Dad weitererzählen, aber Dad wollte nichts davon hören. Beim nächsten Mal weinte Mamma und sagte, Jim sei ein Tyrann und ein Geizkragen. Diesmal war es besonders heikel, denn Mamma hatte in der Zeitung von dem neuen Bohrloch gelesen und wusste genau, wie viel Geld Dad hatte. Sie unterbreitete Bunny einen Plan: Er solle versuchen, Dad zu überreden, dass dieser die finanzielle Unterstützung erhöhe, aber Dad dürfe keinen Verdacht schöpfen, dass der Vorschlag von ihr stamme. Und dies, kurz nachdem Bunny der Annehmlichkeit kleiner Schwindeleien abgeschworen hatte!
Auch aus Mammas Freundeskreis wurde ein Geheimnis gemacht. Wenn Bunny da war, kamen mitunter Herren zu Besuch, sympathische und weniger sympathische. Kaum war er wieder zu Hause, stellte Tante Emma Fragen, aus denen hervorging, dass sie etwas über diese Herren in Erfahrung bringen wollte, Bunny aber nicht merken sollte, dass sie etwas in Erfahrung bringen wollte. Bunny fiel auf, dass Dad niemals solche Themen ansprach; er fragte nie nach Mamma, und Tante Emma stellte ihre Fragen nie in Dads Gegenwart.
All dies hatte eine besondere Wirkung auf Bunny. So wie Dad auf der Bank ein geheimes Schließfach hatte, in das außer ihm niemand hineinschauen durfte, so hatte Bunny sich ein Geheimfach in seinem Innern eingerichtet. Nach außen hin war er ein fröhlicher, offenherziger, wenn auch etwas altkluger kleiner Bursche; dabei führte er die ganze Zeit über ein Doppelleben – schnappte Ideen auf, nahm sie mit sich und hortete sie wie ein Eichhörnchen seine Nüsse, sodass er später im Jahr wiederkommen und sie knacken und knabbern konnte. Manche Nüsse waren gut, manche schlecht, und Bunny lernte, sie zu beurteilen und die schlechten wegzuwerfen.
Eins war klar: Es gab etwas, was Männer und Frauen taten, doch hatten sie sich verschworen, einen nicht wissen zu lassen, was sie da taten. Es war ein dunkler Winkel im Leben, geheimnisvoll und ziemlich abscheulich. Anfangs war Bunny seinem Vater treu ergeben und versuchte gar nicht erst, herauszufinden, was der Vater ihm vorenthalten wollte. Aber so konnte es nicht endlos weitergehen, wo doch der Verstand automatisch danach verlangt, zu verstehen. Nicht nur, dass ihm die Vögel, die Hühner und die Straßenköter Hinweise gaben, dass jeder Gassenjunge Bescheid wusste und ihn nur zu gern aufgeklärt hätte – auch die dummen Erwachsenen selbst sagten ständig Dinge, die man einfach mitbekommen musste. Tante Emma war von der fixen Idee besessen, dass jede Frau hinter Dad her war; «die hat es auf ihn abgesehen» oder «die wirft ihm schmachtende Blicke zu» – sie hatte viele solche Formulierungen. Und Dad war immer merkwürdig verlegen, wenn er zu einer Dame auch nur ein kleines bisschen höflich gewesen war; er schien sich Sorgen zu machen, Bunny könnte Tante Emmas Argwohn teilen. In Wirklichkeit ärgerte sich Bunny über seine Tante und lernte, ihren Fragen auszuweichen und nicht zu erzählen, was Dad zu der hübschen Dame in dem Hotel in Lobos River gesagt hatte und ob die Dame mit ihnen zu Abend gespeist hatte oder nicht. Solche diplomatischen Fertigkeiten eignete sich Bunny an, doch insgeheim trieb ihn ständige Empörung um. Warum konnten die Leute nicht offen reden? Warum spielten sie dauernd Theater und flüsterten, dass einem ganz
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