Öland
tun?«, fragte Julia.
»Schon möglich«, gab Gerlof zu. »Wir werden sehen.«
Julia nickte. Wenn er nicht mehr erzählen wollte, war das
auch in Ordnung.
»Ich habe von Anders Hagman gehört«, sagte sie darum.
»Und dass du der Polizei den Tipp gegeben hast.«
»Ich habe nur seinen Namen genannt … John ist nicht besonders froh darüber«, sagte Gerlof. »Aber den Namen hätten
sie früher oder später auch ohne mich herausbekommen.«
»Sie wollen mit ihm reden«, sagte Julia. »Ich bin mir nicht
sicher, aber es sieht so aus, als würde die Polizei in Borgholm
den Fall neu aufrollen. Von Jens, meine ich.«
»Ja … aber ich glaube, bei Anders sind sie auf einer falschen
Fährte. John ist verständlicherweise derselben Ansicht.«
»Wollt ihr sie nicht auf die richtige führen?«
»Die Polizei hört nicht auf das, was wir Rentner zu sagen
haben, wenn sie findet, dass unsere Ideen verrückt sind. Wir
sind in ihren Augen nicht glaubwürdig genug.«
»Aber ihr gebt niemals auf. Das muss man euch hoch anrechnen.«
»Danke.« Gerlof öffnete die Tür. »Wir tun, was wir können.«
»Haltet die Augen offen, das kann ja nicht schaden, oder?«,
sagte Julia aufmunternd.
»Dann sehen wir uns später«, sagte Gerlof zum Abschied.
CIUDAD DE PANAMÁ, APRIL 1963
P ANAMA-STADT, die Stadt am Panamakanal.
Glänzende Hochhäuser und Bruchbuden stehen nebeneinander. Autos, Busse, Motorräder und Jeeps. Mestizen, Militärs, Bankiers, Bettler, surrende Fliegen und Massen verschwitzter amerikanischer Soldaten in den Straßen der Stadt.
Der Geruch von verbranntem Benzin, verfaulten Früchten
und gegrilltem Fisch.
Nils Kant streift jeden Tag mit brennenden Fußsohlen
durch die engen Gassen.
Er sucht einen schwedischen Seemann.
Solche gibt es in Costa Rica nicht – jedenfalls ist Nils dort
nie einem begegnet. Um sicherzugehen, einen Schweden zu
finden, muss er nach Panama-Stadt fahren.
Die Busreise nach Süden dauert sechs Stunden. Nils hat
in den letzten zwei Jahren fünf dieser Fahrten hinter sich
gebracht.
In dem langen Kanal zwischen den Ozeanen stauen sich
die Schiffe, um den langen Weg um das Kap Hoorn zu vermeiden. Die Seeleute gehen an Land, um sich in dem großen Hafen zu amüsieren. Einige von ihnen bleiben dort hängen: die
Hafenpenner.
Er sucht nach dem Richtigen unter den ausgestoßenen, zurückgebliebenen Seeleuten: Sie versammeln sich im Hafen,
wenn Schiffe aus dem Norden anlegen, oder stehen an derSkandinavischen Kirche für die Verteilung von Brotrationen
an – und hängen die restliche Zeit in der Nähe von Bars und
Geschäften herum. Arme Schlucker, die alles trinken, was Alkohol enthält, vom billigen kolumbianischen Rum bis zum
reinen Alkohol, aus Schuhcreme destilliert.
Am zweiten Tag seines fünften Besuchs entdeckt er auf seinem Weg über brüchige Bürgersteige eine schattengleiche
Gestalt, die in einem dunklen Hauseingang hockt und eine
Flasche umklammert. Nur einen halben Block von der Skandinavischen Kirche entfernt. Langsame Bewegungen, lautes
Schniefen, Hustenanfälle und der Gestank von Erbrochenem.
Nils bleibt vor ihm stehen.
»Wie geht es dir?«, fragt er den Mann.
Er spricht Schwedisch. Wer ihn nicht versteht, mit dem
muss er seine Zeit nicht vergeuden.
»Was?«
»Ich habe gefragt, wie es dir geht?«
»Kommst du aus Schweden?«
Der Blick des Schweden ist eher traurig und müde als leblos, der Bart ist ungepflegt, aber die Falten um Augen und
Mund sind nicht besonders tief. Der Mann ist noch nicht
allzu lange dem Alkohol verfallen. Er muss ungefähr in Nils’
Alter sein.
Nils nickt.
»Ich komme von Öland.«
»Öland?« Der Penner hebt die Stimme und beginnt zu husten. »Öland, verdammt, ich bin Småländer, ja, verdammt. Bin
in Nybro geboren.«
»Die Welt ist klein«, sagt Nils.
»Und jetzt … Ich habe die Schleuse verpasst.«
»Tatsächlich? Das ist ärgerlich.«
»Letztes Jahr. Ich habe das Schiff verpasst, es sollte zwei
Tage liegen und dann passieren. Bin sofort an Land und los.
Bin im Knast gelandet, es gab Ärger in einer Kneipe, hab dasBier direkt aus der Kanne getrunken.« Der Mann sieht mit
neuem Glanz in den Augen zu Nils hoch. »Hast du Geld?«
»Vielleicht.«
»Kauf doch mal was, Whisky oder so. Ich weiß auch, wo.«
Der Mann versucht aufzustehen, aber seine Beine versagen
ihm den Dienst.
»Ich kann ja alleine losgehen und eine Flasche besorgen«,
schlägt Nils vor.
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