Öland
»Eine Flasche Whisky, wir können sie uns teilen. Aber du musst hier warten. Tust du das?«
Der Mann nickt und sinkt wieder in die Hocke.
»Kauf einfach was«, murmelt er.
»Prima«, sagt Nils und richtet sich auf, ohne dem Mann in
die Augen zu sehen: »Wir könnten Freunde werden.«
Fünf Wochen später in Jamaicatown, wie der englische Stadtteil von Puerto Limón genannt wird:
Hotel Tican steht auf dem Schild, aber man kann die Unterkunft kaum als Hotel bezeichnen. Die Rezeption besteht lediglich aus einem rissigen Holzbrett auf zwei Böcken und
einem alten Gästebuch mit Stockflecken. Eine Treppe an der
Außenseite des Hauses führt zu den kleinen Zimmern im ersten Stock. Auf der anderen Straßenseite hört Nils laute Stimmen, die englisch sprechen.
Leise steigt er die Treppe hinauf, vorbei an einer dicken,
glänzenden Kakerlake, die auf dem Weg nach unten ist. Als er
den Gang im ersten Stock erreicht hat, tritt er vor die zweite
Tür und klopft an.
»Yes, Sir!«, ruft eine Stimme aus dem Inneren, und Nils öffnet die Tür.
Zum dritten Mal trifft er den Schweden, der nach eigener
Auskunft gekommen ist, um ihm zu helfen.
Der Schwede sitzt auf dem einzigen Bett in dem stickigen
Hotelzimmer, in einem wilden Durcheinander aus zerknitterten Bettlaken und braun gefleckten Kopfkissen. Sein nackterOberkörper glänzt vor Schweiß, er hält ein Glas in der Hand, auf der Kommode neben dem Bett steht ein kleiner,
surrender Ventilator.
Es ist der Mann, den Nils in seinen Gedanken den Öländer
nennt. Er hat ihm zwar nie erzählt, wo er herkommt, aber
Nils hat genau zugehört und meint, einen schwachen öländischen Dialekt heraushören zu können. Außerdem hat Nils
mitbekommen, dass der Mann die Insel sehr gut kennt. Ist
Nils ihm dort früher schon einmal begegnet?
»Kommen Sie rein, kommen Sie rein.« Der Schwede lächelt
ihm zu, lehnt sich gegen die Wand und deutet mit einer Kopfbewegung zu der Flasche Rum, die auf der Kommode steht.
»Möchten Sie was trinken, Nils?«
»Nein.«
Nils schließt die Tür hinter sich. Er hat aufgehört, Alkohol
zu trinken. Nicht ganz, aber fast.
»Limón ist eine wunderbare Stadt, Nils.« Nils hört keinen
Sarkasmus heraus. »Ich habe heute einen kleinen Streifzug
gemacht und dabei ein richtiges Bordell gefunden, das war
purer Zufall, es war in den hinteren Räumen einer Kneipe
versteckt. Wunderbare Frauen. Aber ich habe mich selbstverständlich nicht hingegeben, wie man so schön sagt … Ich
habe einen Drink genommen und bin wieder gegangen.«
Nils nickt kurz und lehnt sich gegen die geschlossene Zimmertür.
»Ich habe jemanden gefunden«, sagt er. »Einen guten Kandidaten.« Nach achtzehn Jahren im Ausland ist es für Nils
ungewohnt, Schwedisch zu sprechen. Er sucht nach den richtigen Worten. »Und er ist auch noch Småländer.«
»Ah, sehr gut«, antwortet der Schwede. »Wo denn? In Panama-Stadt?«
Nils nickt.
»Ich habe ihn mitgebracht … Die Kontrollen an der Grenzen sind immer schärfer geworden, ich musste die Grenzerordentlich schmieren, aber es hat geklappt. Er ist in San José,
in einem billigen Hotel. Er hat seinen Pass verloren, aber
wir haben bei der schwedischen Botschaft einen neuen beantragt.«
»Sehr gut. Wie heißt er denn?«
Nils schüttelt den Kopf.
»Keine Namen«, sagt er. »Sie haben mir Ihren auch noch
nicht genannt.«
»Da muss man doch nur in der Rezeption nachsehen«, erwidert der Mann auf dem Bett. »Ich habe mich ins Gästebuch
eingetragen, das müssen alle.«
»Ich habe nachgesehen«, sagt Nils.
»Ach ja?«
»Da stand Fritiof Andersson«, sagt Nils.
Der Mann nickt zufrieden.
»Sie können Fritiof zu mir sagen, das ist in Ordnung.«
Nils schüttelt den Kopf.
»Ich will Ihren richtigen Namen wissen.«
»Mein Name hat keine Bedeutung«, bekommt er als Antwort. »Fritiof reicht, oder etwa nicht?« Der Mann sieht ihn
scharf an.
»Vielleicht.« Nils nickt bedächtig. »Bis auf Weiteres.«
»Gut.« Fritiof trocknet sich mit einem Bettlaken den
Schweiß von Brust und Stirn. »Wir haben auch noch andere
Dinge zu besprechen. Ich werde …«
»Hat Sie meine Mutter wirklich zu mir geschickt?«, unterbricht Nils ihn.
»Das habe ich doch schon gesagt.«
Der Mann auf dem Bett mag es nicht, ständig unterbrochen zu werden.
»Sie hätte mir bestimmt einen Brief geschrieben«, beharrt
Nils.
»Der kommt später«, sagt Fritiof. »Sie haben doch das Geld
erhalten, oder etwa
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