Öland
Wochen Sommerferien wieder aufs Festland fuhren.
Aber wir haben nicht Sommer, ich muss bald nach Hause
fahren, dachte Julia an der Tür stehend, die Autoschlüssel in
der Hand. Laut sagte sie zu Gerlof:
»Lena und ich haben immer in einem Etagenbett geschlafen, wenn wir hier waren … Ich lag oben.«
Gerlof nickte.
»Es war schon eng in den Ferien, wenn wir alle da waren,
aber es hat sich keiner beschwert.«
»Nein. Ich erinnere mich auch nur daran, wie toll es mit
unseren Cousinen und Cousins war, den ganzen Sommer …
Es schien immer die Sonne, zumindest in meiner Erinnerung«, sagte Julia und sah auf die Uhr. »Aber jetzt sollten wir
schlafen gehen …«
»Jetzt schon?«, fragte Gerlof und rückte die Seekarte gerade. »Hast du gar keine Fragen?«
»Fragen?«, wiederholte Julia erstaunt.
»Ja«, Gerlof zog den Schutzbezug des Sessels ab und legte
ihn zusammen.
»Frag doch einfach!«, forderte er sie auf.
Er setzte sich schwerfällig hin, aber in diesem Augenblick
klingelte Julias Handy in ihrer Jackentasche im dunklen Flur.
Das digitale Geräusch klang fehl am Platz in der Stille, und
sie ging schnell hin.
»Hallo, hier ist Julia?«
»Hallo, wie geht’s?« Es war Lena, die Einzige, die ihre Handynummer kannte. »Bist du gut angekommen?«
»Ja, bin ich.«
Was sollte sie noch sagen? In der dunklen Fensterscheibe
betrachtete sie das Spiegelbild ihres angespannten Gesichts
und wollte ihrer Schwester eigentlich nichts von dem erzählen, was bisher geschehen war. Nichts von Jens’ Sandale und
auch nichts von dem Todesfall im Steinbruch.
»Hier ist alles in Ordnung«, sagte sie schließlich.
»Hast du Gerlof getroffen?«
»Ja, wir sind gerade im Sommerhaus.«
»In Stenvik?«, fragte Lena. »Ihr werdet da ja wohl nicht
übernachten?«
»Doch«, erwiderte Julia. »Wir haben das Wasser aufgedreht
und den Strom angestellt.«
»Papa darf aber nicht kalt werden«, sagte Lena streng.
»Das wird ihm schon nicht«, reagierte Julia verunsichert,
schämte sich und schämte sich anschließend dafür, dass sie
sich schämte. »Wir sitzen hier und unterhalten uns … Was
wolltest du denn?«
»Nun … Es geht um das Auto. Marika hat angerufen, sie will
wahrscheinlich nächstes Wochenende zu einem Theaterkurs
in Dalsland fahren, und dafür bräuchte sie das Auto. Ich habegesagt, das klappt … Du bleibst doch nicht länger auf Öland,
oder?«
»Ich bleibe noch ein bisschen«, antwortete Julia.
Marika war Richards Tochter aus erster Ehe. Marika und
Lena hatten sich nie gut verstanden, aber offensichtlich gut
genug, dass sie sich Lenas Wagen leihen durfte.
»Wie lange denn?«
»Schwer zu sagen … Ein paar Tage.«
»Wie bitte, wie lange?«, rief Lena. »Drei Tage, okay? Dann
kommst du am Sonntag mit dem Wagen vorbei?«
»Am Montag«, sagte Julia schnell.
Welchen Wochentag Lena auch genannt hätte, sie hätte
immer noch einen draufgelegt.
»Komm bitte, so früh es geht, ja?«, sagte Lena.
»Ich versuche es«, versprach Julia. »Lena …«
»Prima. Grüß Papa, Tschüss dann.«
»Lena … Warum hast du das Foto von Jens in die Kommode
gelegt?«, fragte Julia schnell.
Aber Lena hatte schon aufgelegt.
Julia stellte ihr Telefon aus und seufzte.
»Wer war denn dran?«, fragte Gerlof.
»Deine andere Tochter«, antwortete Julia. »Ich soll schön
grüßen.«
»Aha«, sagte Gerlof. »Will sie, dass du zurückkommst?«
»Ja. Sie will mich im Auge behalten.«
Julia setzte sich zu Gerlof ins Wohnzimmer. Ihr Holundertee mit Honig stand auf dem Tisch. Er war mittlerweile fast
kalt geworden, aber sie trank ihn trotzdem.
»Macht sie sich Sorgen um dich?«, fragte Gerlof.
»Ein bisschen«, antwortete Julia.
Auf jeden Fall Sorgen um ihr Auto, dachte Julia.
»Hier ist es sicherer als in Göteborg«, behauptete Gerlof
und lächelte.
Aber dann schien er sich zu erinnern, was am Morgenim Steinbruch geschehen war, und sein Lächeln verschwand.
Er sah zu Boden und schwieg. Auch Julia sagte kein Wort.
Langsam wurde die Luft im Wohnzimmer wärmer.
Draußen war es stockfinster. Es war kurz vor neun. Julia
überlegte, ob es Bettzeug gab. Eigentlich müsste welches
da sein.
»Ich habe keine Angst vor dem Tod«, sagte Gerlof plötzlich.
»Als ich jung war und zur See fuhr, hatte ich große Angst davor, Angst, auf Grund zu laufen oder gegen eine Mine zu fahren, Angst vor Stürmen, aber jetzt bin ich zu alt dafür … Und
der Großteil
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