Öland
langsam in den Nebel, lautlos wie ein Gespensterschiff. Gerlof rief ihm hinterher, aber
Ernst war verschwunden.
Als Gerlof endlich aufwachte, blieb nur tiefe Trauer um
ihn zurück.
»Bieg hier links ab«, sagte Gerlof am nächsten Morgen zu Julia.
Julia sah ihn an und bremste.
»Wir fahren doch nach Marnäs, oder nicht?«, fragte sie.
»Zur Wohnanlage?«
»Ja, bald. Aber jetzt noch nicht«, erwiderte Gerlof. »Ich
dachte, wir trinken erst einmal einen schönen Kaffee in
Stenvik.«
Julia betrachtete ihn einige Sekunden lang, fuhr an und
bog links ab. Gerlof warf automatisch einen Blick zu seinem
Bootshaus, um zu kontrollieren, ob alle Fensterscheiben heil
waren.
»Wieder links«, sagte er dann und zeigte mit dem Finger
auf ein Haus an der Küstenstraße. »Da wollen wir hin.«
Julia verringerte das Tempo und kreuzte die Straße, ohne
auf entgegenkommenden Verkehr zu achten oder in den
Rückspiegel zu sehen.
»Da wohnt eine alte Frau«, sagte sie, als sie das Auto vor
dem Haus anhielt. »Ich habe sie vorgestern gesehen … Sie war
mit ihrem Hund unterwegs.«
»So alt ist sie gar nicht«, sagte Gerlof. »Astrid Linder ist gerade mal siebenundsechzig oder vielleicht achtundsechzig.
Sie ist erst vor Kurzem in Rente gegangen. Sie war jahrelang
Ärztin in Borgholm. Aber sie ist hier oben aufgewachsen.«
»Und sie wohnt das ganze Jahr über in Stenvik?«
»Jetzt tut sie das. Ich habe nach Ellas Tod mein Sommerhaus verlassen, sie hat es umgekehrt gemacht, als sie Witwe
wurde.« Gerlof öffnete die Wagentür, spürte den Schmerz, als
er sich zur Seite drehte, und seufzte. »Sie ist allerdings wesentlich rüstiger als ich.«
Gerlof schaffte es, die Beine alleine aus dem Auto zu heben,
aber dann musste Julia ihm beim Aufstehen helfen. Er nickte
kurz zum Dank, dann gingen sie zum Haus.
Gerlof sah sich um.
»Wenn ich in Stenvik bin, stelle ich mir vor, dass in allen
Häusern noch Leute wohnen«, gestand er. »Manchmal denke
ich sogar, dass sich die Gardinen bewegen. Man kann Schatten auf der Hauptstraße sehen, kleine Bewegungen an den
Rändern des Gesichtsfeldes … Gespenster sieht man am besten aus den Augenwinkeln.«
Julia antwortete ihm nicht.
In der niedrigen Mauer befand sich ein Holzgatter, und
Julia öffnete es. Der Garten war menschenleer. Auf einer flachen Kalksteinterrasse standen vier weiße Plastikstühle um
einen kleinen Tisch und daneben ein kleiner grauer Gartenzwerg aus Porzellan mit einer grünen Mütze, der mit einem
eingefrorenen Lächeln auf die Bucht blickte.
Noch ehe sie geklingelt hatten, hörten sie eifriges Hundegebell.
»Sei still, Willy!«, rief eine Frauenstimme, aber der Hund
beruhigte sich nicht.
Als sie die Tür öffnete, schoss er wie ein kleiner, weißbrauner Blitz heraus und jagte um Julias und Gerlofs Beine herum;
er musste sich an ihr festhalten, um nicht das Gleichgewicht
zu verlieren.
»Beruhige dich, Dummerle!«, rief Astrid.
Sie erschien in der Tür, klein, weißhaarig und in Gerlofs
Augen sehr schön.
»Hallo, Astrid.«
Astrid griff nach der Leine des Foxterriers und hielt ihn
fest, dann blickte sie auf.
»Hallo, Gerlof. Bist du wieder zu Hause?« Dann fiel ihr Blick
auf Julia, und sie fragte: »Oha, hast du deine neue Freundin
dabei?«
Obwohl die Sonne schien, war der Herbstwind, der über das
Land fegte, unerbittlich und eiskalt. Trotzdem deckte Astrid
den Tisch auf der Terrasse, holte eine Decke, die sie Gerlof um
die Schultern legte, und zog sich selbst einen dicken grünen
Wollpullover über.
»Der Pullover reicht doch«, sagte Gerlof.
»Auf keinen Fall. Es ist viel zu frisch hier draußen«, erwiderte Astrid und holte den Kaffee und die Keksdose, die
lediglich vier Lebkuchen aus dem Supermarkt enthielt.
Astrid hielt offensichtlich nichts vom Backen. Sie goss Kaffee
in die Tassen und setzte sich. Gerlof nahm an, dass Astrid sich
nicht an Julia erinnerte, und war darum überrascht, als sie
plötzlich mit leiser Stimme sagte:
»Du erinnerst dich bestimmt nicht an mich, Julia, aber ich
war damals dabei, als wir am Strand gesucht haben. Mein
Mann und ich.«
Gerlof sah Julia auf der anderen Seite des Tisches erstarren, langsam den Mund öffnen und nach Worten suchen.
»Danke«, sagte sie schließlich. »Ich erinnere mich tatsächlich nicht. Es war an dem Tag alles so verwirrend.«
»Ich weiß, ich weiß.« Astrid nickte und nahm einen Schluck
Kaffee. »Alle sind in
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