Öland
war überrascht, wie schnell sie das Thema wechselte. Wenn nicht einmal Astrid der Ansicht war, dass Jens’
Tod und Nils Kant irgendwie zusammenhingen!
»Am Mittwoch, wenn ich es recht verstanden habe«, sagte
er. »Ich habe heute früh mit John telefoniert.«
»In der Kirche von Marnäs?«
»Ja«, sagte Gerlof und hob seine Kaffeetasse. »Obwohl dieser scheußliche Kirchturm sein Ende besiegelt hat.«
»Ernst ist immer besonders vorsichtig im Umgang mit seinen Steinen gewesen«, sagte Astrid. »Ich verstehe nicht, was
er da an der Kante gemacht hat.«
Gerlof schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
»Sind das alle?«, fragte Julia nach der Kaffeepause bei Astrid,
als sie auf dem Weg nach Marnäs waren.
»Wie alle?«
»Alle, die noch in Stenvik wohnen. Habe ich jetzt alle getroffen, die hier leben?«
»Im Großen und Ganzen ja«, antwortete Gerlof. »Zumindest alle richtigen Stenviker. Dann gibt es natürlich welche,die am Wochenende aus Borgholm und Kalmar kommen. Das
sind so ungefähr fünfzehn bis zwanzig. Aber ich kenne sie
nicht so gut.«
»Und wie ist es im Sommer?«
»Eine Sintflut«, sagte Gerlof. »Dann sind hier Hunderte. Es
kommen immer mehr Touristen. Überall wird gebaut. Und
mindestens genauso viele wohnen dann noch auf dem Campingplatz von John. Insgesamt sind es mehr Menschen, als
wir früher Einwohner hatten, in meiner Kindheit. Aber in
Långvik ist es noch schlimmer, die haben sogar einen Gasthafen und ein Strandhotel.«
Gerlof seufzte.
»Man darf nicht klagen. Die Leute vom Festland bringen
schließlich Geld hierher.«
»Aber es ist schwer, alle im Auge zu behalten«, sagte Julia,
bremste und bog auf die Straße nach Marnäs ab.
»Ja, im Sommer ist es unmöglich«, sagte Gerlof. »Das ist
dann wie bei dir in der Großstadt, die Leute können kommen
und gehen, wie sie wollen.«
»Das können sie jetzt im Herbst doch auch«, sagte Julia.
»Hier in Stenvik gibt es doch niemanden, der sehen kann,
ob …«
Sie schwieg plötzlich, als sei ihr etwas eingefallen.
»Astrid hält in der Regel die Augen offen«, sagte Gerlof.
Dann fiel ihm Julias plötzliches Schweigen auf, und er sah sie
an. »Was ist denn?«
»Ich erinnere mich nur gerade … Ernst hatte erzählt, dass
er Besuch erwartete«, fing sie an. »Als ich ihm vorgestern bei
unserem Sommerhaus begegnet bin. Er hat gesagt: Kommen Sie gerne vorbei und sehen Sie sich die Skulpturen an,
aber nicht heute Abend, da bekomme ich Besuch. Oder so
ähnlich.«
»Hat er das gesagt?«, fragte Gerlof und sah gedankenverloren aus dem Fenster.
»Ging es dabei auch um … Nils Kant?«
»Möglich.«
»Hat Ernst ihn erwartet?«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Gerlof.
Es wurde wieder still im Wagen. Sie fuhren an der Kirche
von Marnäs vorbei, und Gerlof musste an Ernsts Beerdigung
denken. Er freute sich nicht darauf.
»Du weißt mehr, als du erzählen willst«, sagte Julia unvermittelt.
»Ein bisschen mehr«, gab Gerlof leise zu. »Aber nicht viel.
Wir haben nur ein paar Hypothesen, John und ich.«
Ernst hatte natürlich auch einige Hypothesen gehabt,
dachte er betrübt.
»Das ist kein Spiel«, sagte Julia leise. »Jens ist mein Sohn.«
Gerlof hätte sie gerne gebeten, nicht über Jens zu sprechen, als würde er noch leben. »Du wirst bald erfahren, was
ich über die Sache denke.«
»Warum hast du Astrid von Jens’ Sandale erzählt?«, fragte
Julia.
»Damit sich die Neuigkeit verbreitet«, erklärte Gerlof.
»Astrid wird sie garantiert unter die Leute bringen, sie ist gut
in so was.« Er sah Julia an. »Hast du den Polizisten gestern von
der Sandale erzählt?«
»Nein, ich hatte andere Sorgen. Und warum sollen wir das
überhaupt herumerzählen?«
»Tja … es könnte neue Dinge hervorlocken. Jemanden hervorlocken.«
»Wen hervorlocken?«
»Man weiß nie«, deutete Gerlof geheimnisvoll in dem Augenblick an, als sie das Seniorenheim erreichten.
Julia half ihm beim Aussteigen.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte er.
»Ich weiß nicht … Vielleicht gehe ich mal zur Kirche.«
»Gut, tu das. Ella hat ein Licht auf ihrem Grab stehen, dukannst eine Kerze mitnehmen, wenn du möchtest. Ich habe
welche im Zimmer.«
»Gern«, sagte Julia und begleitete ihn zur Eingangstür.
»Dann kannst du dich auch ein wenig auf dem Friedhof
umsehen. Wenn du bei deiner Mutter das Licht angezündet
hast, geh mal zur linken Kirchenmauer und sieh dir die Grabsteine dort
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