Öland
Messingklingel bimmelte, als sie die Tür öffnete. Dahinter befand sich ein kleines Büro mit viel Licht,
aber schlechter Luft – es stank nach altem Zigarettenrauch.
Am Eingang stand ein leerer Empfangstresen, dahinter lag
das Büro, das aus zwei Schreibtischen bestand, die mit Papieren und Zeitungen bedeckt waren. Zwei ältere Männer saßen
an ihren säuselnden Computern, der eine grauhaarig, der andere kahlköpfig, beide trugen Jeans und Hemden, die gebügelt werden mussten. Auf dem Tisch des Kahlköpfigen stand
auf einem Namensschild LARS T. BLOHM. Auf dem Tisch desGrauhaarigen fehlte das Schild, aber Julia erkannte Bengt
Nyberg wieder, den Reporter, der so schnell am Steinbruch
eingetroffen war. Sie hatte ihn dort vor dem Fenster gesehen,
und Lennart Henriksson hatte ihr gesagt, wer er war.
An der Wand hing eine lange Reihe von Schlagzeilen: TRAGISCHER UNFALL MIT TODESFOLGE IM STEINBRUCH.
Waren nicht alle Unfälle mit Todesfolge tragisch?
»Womit können wir Ihnen behilflich sein?« Bengt Nyberg
sah Julia durch zwei dicke Brillengläser an, als sie sich an den
Tresen stellte. »Geht es um Anzeigen?«
»Nein«, sagte Julia, die selbst nicht genau wusste, warum
sie die Redaktion betreten hatte. »Ich bin zufällig vorbeigekommen. Ich wohne momentan in Stenvik … Mein Sohn ist
verschwunden.«
Sie blinzelte. Warum hatte sie das jetzt gesagt?
»Aha«, sagte Nyberg. »Aber wir sind nicht die Polizei. Die ist
gleich nebenan.«
»Danke«, flüsterte Julia und spürte ihren Puls rasen, als
hätte sie etwas furchtbar Peinliches gesagt.
»Oder möchten Sie, dass wir darüber berichten?«
»Nein«, sagte sie schnell. »Ich gehe zur Polizei.«
»Wann ist er denn verschwunden?«, fragte der andere
Mann. Er hatte eine tiefe, heisere Stimme. »Um wie viel Uhr?
Ist das hier in Marnäs passiert?«
»Nein. Das ist nicht heute gewesen«, sagte Julia. Sie merkte,
dass sie rot wurde, als würde sie die beiden Zeitungsreporter
anlügen. »Ich muss jetzt gehen. Vielen Dank.« Sie spürte ihre
Blicke im Nacken, als sie sich rasch umdrehte und die Redaktion verließ.
Auf dem Bürgersteig holte sie erst einmal tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Warum war sie überhaupt hineingegangen? Warum hatte sie Jens erwähnt? Sie war es einfach
nicht gewohnt, fremden Menschen zu begegnen.
Um den glänzenden Fensterscheiben der Ölands-Posten zuentkommen, ging sie ein paar Schritte und erblickte am Nebenhaus ein weiteres Schild: POLIZEI.
Auf der Tür unterhalb des Schilds war mit Tesafilm ein
Stück Papier befestigt. Julia stieg die zwei Treppenstufen
hoch, um lesen zu können, was darauf stand.
Geöffnet: Mittwoch 10–12 Uhr.
Es war Freitag, also war geschlossen. Aber was geschah,
wenn in Marnäs an einem anderen Tag als Mittwoch ein Verbrechen begangen wurde? Es gab keinen Zettel, der das beantwortete.
Sie sah zum Fenster hinein und bemerkte einen Schatten,
der sich bewegte.
Julia ging die Stufen hinunter, und im selben Augenblick
hörte sie ein Knacken im Schloss. Die Tür wurde geöffnet, und
Lennart Henriksson tauchte vor ihr auf. Er lächelte.
»Ich habe gesehen, dass ich Besuch bekommen habe«, sagte
er. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Hallo«, sagte sie. »Mir geht es gut. Ich dachte, es wäre keiner da.«
»Ich weiß, ich muss jeden Mittwoch zwei Stunden anwesend sein«, erklärte Lennart. »Aber ich bin auch an anderen
Tagen hier. Obwohl das ein Geheimnis ist, so kann ich mehr
erledigen. Kommen Sie rein.«
»Wollten Sie nicht gerade gehen?«
»Ich wollte essen gehen, aber kommen Sie ruhig einen
Augenblick herein.«
Er trat einen Schritt zur Seite und hielt Julia die Tür auf.
Das Büro sah viel älter aus als das der Zeitungsredaktion,
das sie eben besucht hatte, war jedoch aufgeräumt, geputzt,
hatte Pflanzen in den Fenstern und roch nicht nach altem
Zigarettenrauch. Es gab nur einen Schreibtisch, zur Eingangstür gedreht, auf dem alle Papiere in ordentlichen Stapeln lagen. Auch Computer, Faxgerät und Telefon standen
wohlgeordnet an ihren Plätzen.
»Schönes Büro«, sagte Julia.
Lennart Henriksson schien es gerne aufgeräumt zu haben,
das gefiel ihr.
»Finden Sie?«, fragte Lennart. »Das Revier gibt es schon seit
dreißig Jahren.«
»Sind Sie der Einzige, der hier arbeitet?«
»Jetzt ja. Im Sommer kommen noch andere dazu, aber in
dieser Jahreszeit bin nur ich hier. Die haben eine Stelle nach
der anderen
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