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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Wege vorbei, und die wenigsten wagen sich so tief in die Alvar hinein.
    Nils ist ganz ruhig und entspannt. Nach dem ersten Schuss,
    
     demversehentlichen, mit dem er den ersten Deutschen niedergestreckt hatte, ist ihm gewesen, als hätten zwei unsichtbare Hände seine bebenden Schultern festgehalten und ihn
     beruhigt.
    Komm schon, beruhige dich! Das Blut in den Fingern hat
     aufgehört zu pochen, seine Hände haben aufgehört zu zittern, und er hat sich so sicher gefühlt wie noch nie, als er mit
     seiner Husqvarna auf den anderen Deutschen gezielt hat.
     Sein Blick ist klar und fest gewesen, der Finger hat den Abzug
     berührt. Wenn das hier Krieg oder fast so etwas wie Krieg ist,
     ähnelt es der Hasenjagd.
    »Gib mir das«, hat er gesagt.
    Er hat seine Hand ausgestreckt, und der Deutsche hat sofort verstanden und ihm mit einer vorsichtigen Bewegung
     den kleinen funkelnden Edelstein gereicht, den er Nils hingehalten hat.
    Nils hat seine Finger um den Stein geschlossen, ohne die
     Flinte zu senken, und ihn in seine Hosentasche gesteckt. Er
     hat kurz genickt und den Zeigefinger sehr langsam um den
     Abzug gekrümmt.
    Der Deutsche ist auf die Knie gefallen und hat den Mund
     geöffnet, aber Nils hat ihm nicht zuhören wollen.
    »Heil Hitler«, hat er leise gesagt und abgedrückt.
    Ein letzter Knall, dann Stille. So einfach ist das gewesen.
    Jetzt liegen die beiden Soldaten unter dem Wacholderbusch, der eine auf den anderen geworfen. Die Fliege klettert
     auf die Zeigefingerspitze des oberen, streckt ihre Flügel aus
     und hebt ab. Nils folgt ihr mit den Augen, bis sie hinter einem
     großen Busch verschwindet.
    Er macht einen Schritt auf die Soldaten zu, stellt seinen
     Fuß auf den oberen und stößt ihn an. Sein Körper rutscht
     langsam hinunter und liegt daraufhin neben seinem Kameraden im Gras. Das sieht besser aus. Er könnte die beiden einbisschen hübscher anordnen wie zu einer richtigen Totenwache, aber das muss reichen.
    Nils betrachtet die Toten. Woher sind sie gekommen? Er
     hat sie nicht verstanden, ist sich aber ziemlich sicher, dass sie
     deutsch gesprochen haben. Der eine der beiden hat einen
     grün gefärbten Stoffranzen über der Schulter getragen, der
     beim Sturz zu Boden gefallen ist. Den hat Nils bis jetzt nicht
     gesehen.
    Er bückt sich und schnürt den Ranzen auf, der ohne Blutflecken ist. Er faltet die Stoffseiten auf: ein paar Konserven
     ohne Etiketten, ein kleines Messer mit zerschlissenem Holzgriff und ein fast vertrockneter Laib dunkles Brot. Daneben
     ein paar Schnurreste, ein schmutzig brauner Verband sowie
     ein kleiner Kompass aus unpoliertem Messing.
    Nils steckt das Messer ein, als Erinnerungsstück. Viel Geld
     ist es nicht wert.
    In dem Ranzen liegt noch ein Gegenstand: ein Etui aus
     Blech, etwas kleiner als ein Gewehrkolben. Nils hebt es hoch
     und hört es darin rasseln. Er öffnet den Verschluss.
    Das Etui ist voller funkelnder Edelsteine. Er lässt sie in
     seine Hand rieseln und fühlt ihre geschliffenen Oberflächen.
     Einige sind klein wie Schrotkugeln, andere größer als Zündhütchen, es sind mehr als zwanzig Stück. Außerdem befindet
     sich noch etwas Größeres in dem Etui, das in ein Tuch eingewickelt ist.
    Es ist ein Kruzifix aus reinem Gold, groß wie eine Handfläche, mit in Gold eingefassten, rot schimmernden Edelsteinen. Wunderschön. Lange betrachtet er das Kreuz, ehe er es
     wieder in das Tuch wickelt.
    Nils verschließt das Etui und verstaut seine Kriegsbeute im
     eigenen Rucksack. Dann verschließt er auch den Ranzen wieder und legt ihn neben seinen toten Besitzer. Hier gibt es für
     ihn nichts mehr zu tun. Er müsste die Soldaten natürlich vergraben, hat aber keine Schaufel.
    Die Leichen müssen liegen bleiben, wo sie jetzt liegen, im
     Schutz der Wacholderbüsche, dann kann er an einem der
     nächsten Tage mit einem richtigen Spaten zurückkommen.
     Aber er streckt die Hand aus und schließt ihre Augen, damit
     sie nicht weiter in den offenen Himmel starren müssen.
    Dann ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Er wirft sich den
     Rucksack über, hebt das noch warme und nach Pulver riechende Gewehr auf und macht sich auf den Weg nach Stenvik.
    Nach etwa fünfzig Schritten dreht er sich um und lässt den
     Blick noch einmal über die helle Grasebene schweifen. Die
     Lichtung zwischen den Wacholderbüschen liegt im Schatten,
     und die grünen Uniformen der Soldaten verschmelzen mit
     der Landschaft, aber eine reglose weiße Hand lugt aus dem
     Gras empor

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