Öland
und ist zwischen den knorrigen Stämmen der
Büsche deutlich zu sehen.
Nils setzt seinen Weg fort. Er überlegt, was er seiner Mutter
erzählen wird, wie er die Blutstropfen auf seiner Hose erklären soll.
Er will ihr alles erzählen, keine Geheimnisse haben, aber
manchmal hat er den Eindruck, dass es Sachen gibt, von
denen sie eigentlich nichts wissen will. Vielleicht ist der
Kampf mit den Soldaten so eine Sache. Darüber muss er
nachdenken.
Also überlegt er, kommt aber zu keinem richtigen Ergebnis. Jetzt nähert er sich der Straße, die nach Stenvik führt. Sie
ist leer, er geht weiter.
Nein, die Straße ist doch nicht ganz leer. Hinter einer Biegung, einige hundert Meter vom ersten Haus des Ortes entfernt, kommt ihm ein Mensch entgegen.
Nils’ erster Impuls ist, sich zu verstecken, aber hinter ihm
sind nur kleine, verkrüppelte Wacholderbüsche. Und welchen Grund hat er eigentlich, wegzulaufen und sich zu verstecken? Ihm ist draußen in der Alvar etwas Großes passiert,
etwasalles Umstürzendes, jetzt muss er vor niemandem
Angst haben.
Nils bleibt an der Steinmauer wenige Meter vor der Hauptstraße stehen und lässt die Person näher kommen.
Plötzlich sieht er, dass es Maja Nyman ist.
Maja, das Mädchen aus Stenvik, das er so oft ansieht und
an das er noch viel häufiger denkt, mit dem er jedoch noch
nie gesprochen hat. Er kann auch jetzt nicht mit ihr sprechen, sie aber kommt immer näher und lächelt, als wäre es
ein ganz normaler Sommertag. Sie hat ihn erkannt, und obwohl sie nicht schneller wird, hat er das Gefühl, dass sie sich
streckt, das Kinn hebt und die Brust herausdrückt.
Nils steht wie angewurzelt neben der Steinmauer und
sieht Maja auf der anderen Seite der Mauer stehen bleiben.
Sie schaut ihn an. Er erwidert ihren Blick, aber ihm fällt
kein Wort ein, nicht einmal ein Gruß. Das Schweigen wird
durch den Gesang einer Nachtigall im Dickicht an der Mauer
noch unerträglicher.
Schließlich öffnet Maja den Mund.
»Hast du was geschossen, Nils?«, fragt sie mit heller
Stimme.
Die Frage lässt ihn fast zurücktaumeln. Anfangs glaubt
er, dass Maja alles weiß, dann begreift er, dass sie nicht die
Soldaten meint. Er trägt ein Gewehr bei sich und hat für gewöhnlich erlegte Hasen dabei, wenn er in den Ort zurückkehrt.
Er schüttelt den Kopf.
»Nee«, antwortet er, »keine Hasen.« Er spürt die Schwere
des Blechetuis im Rucksack und stammelt: »Ich muss … jetzt
gehen. Zu meiner Mutter, nach Hause.«
»Nimmst du nicht die Hauptstraße?«, fragt Maja.
»Nee.« Nils weicht weiter zurück. »Es geht schneller, wenn
ich über die Alvar gehe.«
Die Worte kommen ihm immer leichter über die Lippen, er
kannsich tatsächlich mit Maja unterhalten. Das muss er öfter machen, aber nicht heute.
»Tschüss«, sagt er darum nur und dreht sich um, ohne eine
Antwort abzuwarten.
Er vermutet, dass sie stehen bleibt und ihm hinterhersieht,
weshalb er der Hauptstraße den Rücken kehrt und zweihundert Schritte zählt, ehe er abbiegen und wieder Kurs auf Stenvik nehmen wird.
Bei jedem Schritt hört er das schwache Rasseln aus dem
Blechetui, das auf dem Boden des Rucksacks hin und her
rutscht, und erkennt, dass er es nicht wagt, seine Beute nach
Hause mitzunehmen. Er muss mit seiner Kriegsbeute vorsichtig sein.
Nach weiteren hundert Schritten, die Straße ist hinter
Wacholderbüschen verschwunden, taucht vor ihm ein Steinhaufen auf.
Der alte Opferhügel. Für ihn ist er vor allem eine Orientierung auf dem Weg von und nach Stenvik, aber heute bleibt er
bei ihm stehen. Er betrachtet den Steinhaufen, überlegt kurz
und sieht sich um.
Die Alvar ist menschenleer. Man hört nur den Wind.
Dann hat er eine Idee. Er nimmt den Rucksack von der
Schulter und stellt ihn ab. Er öffnet ihn, holt das Etui mit den
Edelsteinen heraus, wiegt es in der Hand und stellt sich neben den Opferhügel.
Im Osten steht die Kirche von Marnäs. Nils macht den
Kirchturm als einen kleinen weißen Pfeil am Horizont aus. Er
richtet sich zum Kirchturm aus und macht einen großen
Schritt nach vorn. An dieser Stelle beginnt er zu graben.
Die Sonne scheint seit Tagen, und der Boden ist knochentrocken; es gelingt ihm, die Grassoden in kleinen Flächen abzulösen und danach die Erde darunter mit den Händen und
dem kleinen Taschenmesser des Deutschen aufzugraben. Es
dauert nicht lange, bis er den felsigen Untergrund erreicht,die obere Erdschicht ist in
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