Öland
Person?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Gerlof.
»Kannst du mir sagen, warum nicht?«
»Das werde ich morgen in Borgholm tun.«
»Okay«, gab Julia auf, sie hatte keine Kraft mehr, weiter zu
bohren. »Bis morgen.«
Auf dem Weg die Hauptstraße hinab ging Julia langsam an
Vera Kants Garten vorbei. Alles war dunkel. Das verfallene
Haus setzte sich als ein mächtiger schwarzer Schatten vom
Nachthimmel ab. Die einzige Möglichkeit herauszufinden,
ob da jemand war, wäre …
In Vera Kants Haus zu gehen und nachzusehen. Aber das
war idiotisch, vor allem allein. Das Haus war ein Geisterhaus,
aber …
Und wenn Jens damals dort hineingegangen war? Wenn er
noch in dem Haus war?
Nein. Sie durfte so nicht denken.
Julia lief zum Bootshaus, ging hinein und verriegelte die
Tür hinter sich.
15
D er Dienstagmorgen war grau und windig, und für Gerlof
war es erniedrigend, nicht einmal die Strecke bis zum Auto
ohne Hilfe bewältigen zu können. Er musste sich auf Boel und
Linda stützen, als er von der Eingangstür bis zu Julias Ford
auf dem Wendeplatz ging, und wankte trotzdem unsicher.
Gerlof spürte, wie hart die beiden Frauen arbeiteten, um
seinen schweren und widerspenstigen Körper vorwärtszubewegen. Er konnte nur seinen Stock und seine Aktentasche
festhalten und sich führen lassen.
Es war demütigend, aber nicht zu ändern. An manchen
Tagen konnte er ohne größere Schwierigkeiten gehen, an anderen sich kaum auf den Beinen halten. Der Herbsttag war
kalt, und das machte alles noch schlimmer. Es war der Tag
vor Ernsts Begräbnis. Julia öffnete von innen die Tür zum Beifahrersitz, er setzte sich hinein.
»Wo fahrt ihr hin?«, fragte Boel, die neben dem Auto stand
und immer genau Bescheid wissen wollte.
»Nach Süden«, sagte Gerlof. »Nach Borgholm.«
»Seid ihr zum Abendessen wieder da?«
»Denke schon«, brummte Gerlof und machte die Tür zu.
»Los geht’s«, sagte er zu Julia und hoffte, dass sie seinen traurigen Zustand an diesem Morgen nicht kommentieren würde.
»Ich habe den Eindruck, dass Boel dich gern hat«, lächelte
Julia, als sie vom Hof fuhren.
»Na ja, sie trägt die Verantwortung und will nicht, dass mir
etwas zustößt«, erwiderte Gerlof ärgerlich und wechselte das
Thema: »Ich weiß nicht, ob du das mitbekommen hast, aber
in Südöland ist ein Rentner verschwunden … Die Polizei
sucht noch nach ihm.«
»Doch, ich habe es im Autoradio gehört«, erwiderte Julia.
»Aber wir fahren heute nicht in die Alvar, oder?«
Gerlof schüttelte den Kopf.
»Wir fahren nach Borgholm«, sagte er. »Wir werden drei
Männer aufsuchen. Nicht gleichzeitig. Einen nach dem anderen. Einer von ihnen hat mir die Sandale geschickt. Mit dem
willst du doch reden, nicht wahr?«
Julia nickte.
»Und die anderen?«
»Einer von ihnen ist ein Freund von mir«, erklärte Gerlof.
»Er heißt Gösta Engström.«
»Und der dritte?«
»Ja, der ist ein Sonderfall.«
Julia bremste, als sie das Stoppschild an der Landstraße
erreichten.
»Du musst immer so geheimnisvoll tun, Gerlof«, sie sah ihn
ärgerlich an. »Willst du dich wichtig machen?«
»Aber nein«, entgegnete Gerlof schnell.
»Ich glaube schon«, sagte Julia und bog auf die Straße Richtung Borgholm.
Vielleicht hat sie ja recht, überlegte Gerlof. Darüber hatte
er noch nie nachgedacht.
»Ich will mich nicht wichtig machen«, sagte er dann. »Ich
bin nur der Meinung, dass man Geschichten in ihrem eigenen Tempo erzählen muss. Früher hat man sich viel mehr
Zeit gelassen, heute muss immer alles schnell gehen.«
Julia schwieg. Sie fuhren nach Süden, an der Abfahrt Richtung Stenvik vorbei. Wenige hundert Meter weiter sah Gerlof
das alte Bahnhofsgebäude am Horizont. Hierher war Nils Kant
anjenem Sommertag nach Kriegsende gewandert, der damit
endete, dass er Henriksson im Zug erschoss.
Gerlof konnte sich noch gut an die Aufregung erinnern.
Zuerst die zwei erschossenen Soldaten in der Alvar, dann der
Mord an dem Polizisten und der flüchtige Mörder – eine Sensation, die großen Platz in den Nachrichten eingenommen
hatte, obwohl das alles kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs geschah.
Die Reporter kamen von überall, um über die Gewalt auf
Öland zu berichten. Gerlof war damals in Stockholm, um in
der zivilen Seefahrt Fuß zu fassen, und hatte von dem öländischen Drama nur aus der Zeitung erfahren. Die Polizei hatte
Hundertschaften aus ganz Südschweden
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