Öland
als sie auf einmal bemerkte, dass sie einen Spalt offen stand. Ein Stück
Holz aus dem Türrahmen war herausgebrochen worden, sodass der Riegel nicht mehr einschnappen konnte.
Jemand war bei Vera Kant eingebrochen.
Einbrecher? Sie kamen im Winter in die verlassenen Dörfer, um ungestört die Sommerhäuser ausräumen zu können.
Ein unbewohntes Haus, das der reichsten Frau Nordölands
gehört hatte, war bestimmt interessant für sie.
Oder war es jemand anderes gewesen?
Julia wollte die Tür aufdrücken, aber sie bewegte sich
nicht. Als sie zu Boden sah, erkannte sie auch, warum. Unter
der Tür steckte ein kleiner Holzkeil.
Jemand hatte die Tür arretiert, damit der Wind sie nicht
aufriss. War ein Einbrecher so umsichtig?
Nein, wohl kaum.
Julia stieß den Keil mit dem Fuß heraus und drückte erneut gegen die Tür. Die Scharniere knarrten, aber die Tür
ging auf.
Die undurchdringliche Dunkelheit dahinter steigerte ihre
Nervosität, aber sie konnte nicht mehr umkehren.
Wer immer den Holzkeil eingesetzt hatte, musste außenvor der Tür gestanden haben, war also jetzt nicht mehr im
Haus. Vorausgesetzt, dass es keinen zweiten Eingang gab.
Julia trat ganz vorsichtig über die Türschwelle von Vera
Kants Haus, in dem es genauso kalt war wie im Freien, aber so
dunkel und windstill wie in einer Höhle. Sie konnte die Hand
vor Augen nicht sehen, doch dann fiel ihr ein, dass sie die
Petroleumlampe dabeihatte.
Der Lichtkegel der Petroleumlampe genügte, um die leere
Veranda in graues Licht zu tauchen.
Sie lief die Veranda entlang bis zur nächsten Tür. Julia öffnete sie.
Der Flur. Schmal, lang, geblümte Tapeten, die von der
Sonne gebleicht waren. Julia hätte es nicht überrascht, wenn
dort noch ein Garderobenständer mit Veras schwarzem
Mantel oder eine säuberliche Reihe kleiner Frauenschuhe gestanden hätten, aber der Flur war vollkommen leer. An den
Wänden und der Decke hingen Spinnweben.
Vom Flur gingen vier Türen ab. Sie waren alle geschlossen.
Sie öffnete eine der Türen.
Sie stand in Veras Küche. Und die war groß. Julia sah einen
braunen Linoleumboden, der in der Mitte des Raums in polierte Steinplatten überging, auf denen ein riesiger, schwarzer Eisenherd thronte. Gegenüber der Tür gab es zwei Fenster
zur Rückseite des Hauses. Julia wusste, dass sich das Sommerhaus ihrer Familie hinter den Bäumen befand. Daraufhin
fühlte sie sich weniger einsam und wagte sich in die Küche.
Zur Linken führte eine schmale, steile Holztreppe mit einem wackeligen Geländer in den ersten Stock. Ein schwacher
Geruch von verrotteten Pflanzen hing in der modrigen Luft.
Dieses Zimmer hatte Veras Sohn Nils eines schönen Sommertages am Ende des Krieges verlassen, die Schrotflinte im
Rucksack versteckt.
Ich komme zurück, Mutter.
Hatte er ihr das versprochen?
ersten Stock befand sich eine Tür,
und als Julia darauf zuging, sah sie, dass es dort steil nach unten ging.
Es war die Kellertreppe. Der Keller war ein guter Ort, wenn
man etwas suchte, einen toten und versteckten Körper.
Julia spürte das Handy in ihrer Jackentasche. Es hatte Lennarts Nummer gespeichert, sie konnte ihn jederzeit anrufen.
Die Treppenstufen in den Keller bestanden aus groben
Holzdielen. Am Fuß der Treppe sah sie den Boden aus gestampfter Erde, der schwarz und feucht im Schein der Lampe
glänzte.
Aber irgendetwas stimmte da nicht.
Julia stieg zwei, drei Treppenstufen hinunter, um besser
sehen zu können. Sie senkte den Kopf, um ihn sich nicht an
der Decke zu stoßen, und starrte nach unten.
Der Erdboden des Kellers war umgegraben worden.
Am Fuße der Treppe war das Erdreich unberührt, aber
überall entlang der Steinmauer hatte jemand kleine und
große Löcher gegraben. Und an die Treppe gelehnt stand
ein Spaten, als hätte derjenige nur eine kurze Pause gemacht.
Getrocknete Erde von Stiefelabdrücken lagen auf den Treppenstufen unter ihr.
An der Wand war ein kleiner Erdhaufen aufgeschüttet worden, gefüllte Eimer standen etwas weiter weg. Jemand war
dabei, systematisch den Boden des Kellers umzugraben.
Was war hier los?
Julia stieg rückwärts die Stufen hoch. Sie ging möglichst
lautlos, und als sie wieder in der Küche stand, hielt sie die
Luft an und lauschte in die Stille hinein.
Sie konnte Lennart anrufen, wollte aber weder gehört noch
gesehen werden.
Sie steckte die Hand in die Tasche und nahm das Handy
heraus. Mit kurzen Schritten durchquerte
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