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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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als sie in die Vorhalle kamen. Sie war dunkel und leer, aber das Kirchenschiff war voller schwarz gekleideter Menschen. Gedämpftes Gemurmel
     erfüllte den Raum; der Gottesdienst hatte noch nicht begonnen.
    Viele der gesenkten Köpfe wandten sich diskret zur Seite,
     als Gerlof den Gang hinuntergeschoben wurde. Er wusste,
     wie schwach und gebrechlich er aussah, und es stimmte, er
     war schwach und gebrechlich, aber klar im Kopf – und das
     war das Wichtigste.
    Viele gingen nur auf Beerdigungen, um zu sehen, wer als
     Nächstes an der Reihe war. Guckt nur, dachte Gerlof, so gemütlich wie jetzt wird es nicht bleiben.
    Er würde schon bald wieder aufstehen und gehen.
    Eine schmale weiße Hand winkte ihm aus einer der vorderen Bänke zu. Astrid Linder hatte ihm einen Platz frei gehalten und schien nicht zu bemerken, dass Gerlof im Rollstuhl
     saß.
    Marie blieb stehen, und Gerlof wuchtete sich mit ihrer
     Hilfe neben Astrid auf die Bank.
    »Du hast nichts verpasst«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Bis
     jetzt war es hier furchtbar langweilig.«
    Gerlof nickte nur, nachdem er auf den anderen Platz
     neben Astrid geschielt und gesehen hatte, dass Julia nicht
     neben ihr saß.
    Marie zog sich mit dem Rollstuhl in den hinteren Teil der
     Kirche zurück, und gleichzeitig verstummte das Gemurmel,
     als der Organist anfing, ein altes Kirchenlied zu spielen, dessen wehmütige Melodie Gerlof schon auf unzähligen Beerdigungen gehört hatte. Er entspannte sich und sah sich
     vorsichtig um.
    Die meisten Anwesenden waren älteren Semesters, von
     etwa hundert Personen war nur eine Handvoll unter fünfzig.
    Auch Ernsts Mörder war unter ihnen, da war Gerlof sich
     ganz sicher.
    Neben Astrid saß ihr Bruder Carl, der letzte Bahnhofsvorsteher von Marnäs, der umgesattelt hatte und Eisenwarenhändler geworden war, als der Bahnhof Mitte der Sechzigerjahre für immer geschlossen wurde. Jetzt war er Rentner.
     Carl war damals im Bahnhof gewesen, als Nils Kant in den
     Zug nach Borgholm gestiegen war.
    Carl war womöglich der letzte noch lebende Öländer, der
     Nils Kant als Erwachsenen gesehen hatte, aber als Gerlof ihn
     vor langer Zeit einmal fragte, wie Kant aussah, hatte Carl nur
     mit dem Kopf geschüttelt – er habe ein schlechtes Personengedächtnis.
    Die Orgel verstummte. Pfarrer Åke Högström, in Marnäs
     schon seit Jahrzehnten tätig, stellte sich vor den mit Rosen
     bedeckten weißen Holzsarg. Er hielt eine große, in Leder gebundene Bibel in den Händen und blickte ernst auf die
     Trauergemeinde.
    »Wir haben uns heute versammelt, um unseren Freundund Steinmetz Ernst Adolfsson zu verabschieden …« Der Pfarrer machte eine Pause, rückte seine Brille zurecht und begann dann seine Grabpredigt mit einer wichtigen Frage:
     »Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als allein
     der Geist des Menschen, der in ihm ist?«
    Paulus’ erster Brief an die Korinther, zweites Kapitel, Gerlof kannte die Stelle.
    »Wir Menschen wissen so wenig voneinander«, mahnte
     der Pfarrer, »nur Gott weiß alles. Er sieht alle Schuld und
     Schwächen, dennoch will er uns in alle Ewigkeit Geborgenheit schenken …«
    Aus den hinteren Bänken ertönte keuchendes Husten.
    Gerlof blinzelte, hörte der Predigt mit großer Gelassenheit
     zu und nickte ab und zu zustimmend. Sie sangen »Es ist ein
     Ros’ entsprungen«, danach folgten ein Gebet, noch mehr Bibelzitate, Psalmen und Lieder.
    Er hatte zwar schon in Ernsts Haus Abschied von ihm genommen, trotzdem wurde er wehmütig und traurig, als sich
     sechs Männer mit ernster Miene erhoben und zum Sarg gingen, um ihn hinauszutragen. Zwei von ihnen kannte Gerlof –
     es waren seine Freunde Gösta Engström aus Borgholm und
     Bernt Kollberg, der jahrzehntelang den Lebensmittelladen
     in Solby, südlich von Stenvik, betrieben und Ernst häufig Lebensmittel nach Hause gebracht hatte. Die vier übrigen Sargträger stammten aus Ernsts småländischer Familie.
    Gerlof wäre auch gerne aufgestanden und hätte sich Ernsts
     Sarg auf die Schulter gelegt, aber es ging nicht, er musste
     sogar sitzen bleiben, als alle anderen sich erhoben und dem
     Sarg mit Blicken folgten. Dann kam Marie mit dem Rollstuhl.
    »Ich glaube, ich kann jetzt selbst gehen«, sagte er trotzig,
     doch es war leider unmöglich.
    Marie half ihm in den Stuhl zurück, und als das geschafft
     war, lehnte sich Astrid vor und klopfte ihr auf die Schulter.
    »Ich helfe Gerlof«, sagte sie energisch und legte ihre Hände
     auf

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