Oelspur
Und vergessen Sie das Geld nicht!«
Der alte Verlaine war tatsächlich kein Freund vieler Worte. Er legte auf, ohne meine Antwort abzuwarten. Anna sah mich fragend an.
»Es geht los. Ich glaube, wir haben ihn.«
»Gut«, sagte Anna. »Lass uns das Geld holen. Und dann will ich wissen, wie das Schwein aussieht.«
Vierzig
A
l s wir im sechsten Stock des Gebäudes am Leopoldpark aus dem Lift stiegen, pfiff Anna anerkennend durch die Zähne.
»Den Herrschaften geht’s offenbar gut«, sagte sie.
»Warte, bis du das Büro siehst.«
Verlaine senior öffnete uns persönlich und sah erst Anna und dann mich missbilligend an.
»Wer ist das?«
»Frau Jonas, meine Partnerin.«
»Sie hätten mir sagen sollen, dass es noch eine Mitspielerin gibt.«
»Jetzt wissen Sie es ja.«
Ich schob mich an seinem Bauch vorbei in den Raum und setzte mich unaufgefordert an den großen Konferenztisch. Dort saßen bereits der junge Verlaine und ein unauffälliger, blonder Mann in mittleren Jahren, der einen Rollkragenpullover und darüber ein Tweedsakko mit Lederflicken an den Ellenbogen trug. Er ähnelte mehr einem Englischlehrer als einem Detektiv. Der Alte und Anna setzten sich zu uns, und Verlaine junior kam ohne Umschweife zur Sache.
»Dr. Nyström, Madame Jonas, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir den ersten Teil des Auftrags erfolgreich abschließen konnten. Lassen Sie mich Ihnen Jacques Teerboom vorstellen. Er hat die Fotoüberwachung geleitet und war für Sie in Hamburg. Wenn Sie einverstanden sind, wird er Ihnen jetzt einen zusammenfassenden Bericht geben.«
Teerboom räusperte sich, nickte Anna und mir zu und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Wir haben die ersten fünf Tage aus den Observierungsfahrzeugen heraus fotografiert und zwar in Wechselschichten von morgens sechs Uhr bis abends 22 Uhr. Das Gebäude hat keine Neben- oder Hintereingänge, das haben wir geprüft, und so konnten wir uns auf das Hauptportal konzentrieren. Ab dem sechsten Tag konnten wir kurzfristig ein kleines Büro in einem Haus schräg gegenüber anmieten, was die ganze Sache vereinfachte. Wir haben mit Teleobjektiven und hochwertigen digitalen Kameras gearbeitet und uns auf die Gesichter konzentriert. Da wir zunächst wahllos jeden Mann fotografiert haben, der in den vierzehn Tagen raus- oder reingegangen ist, sind natürlich viele mehrfach getroffen worden, sodass wir nach Ablauf der zwei Wochen knapp fünfhundert Fotos hatten. Nach dem Aussortieren der Mehrfachaufnahmen blieben einhundertundzwanzig Gesichter übrig. Bei dieser Gruppe sind mit Sicherheit auch Besucher und Kunden der Firma dabei. Die Fotos haben wir auf eine CD gebrannt. Ich möchte Ihnen eine kleine Auswahl davon zeigen, um Sie von der hohen Auflösung und der technischen Qualität der Bilder zu überzeugen, was ja für die Sicherheit der Identifizierung von Bedeutung ist.«
Er drückte ein paar Tasten und drehte sein Notebook zu uns, sodass wir den Monitor sehen konnten. Wie bei einer Diashow erschienen jetzt im Abstand von etwa fünfzehn Sekunden großformatige schwarz-weiße Porträtfotos, die so gestochen scharf waren, dass man zum Teil Hautunreinheiten auf den Gesichtern der Männer erkennen konnte.
»Wer von denen ist Morisaitte?«, frage Anna mit vor Ungeduld vibrierender Stimme.
»Einen Augenblick noch, Madame«, sagte Teerboom und hielt die Bildfolge mit einem Mausklick an. »Ich bin gestern Mittag mit der CD nach Hamburg geflogen und habe mit dem Barkeeper in dem Fitnessclub gesprochen. Ihr Angebot von zehntausend Euro hat ihn sehr kooperativ gemacht. Ich habe ihn nach seiner Schicht in einer Bar getroffen und ihm die Fotos auf dem Laptop gezeigt. Er hat schon beim ersten Durchgang, und ohne zu zögern, diesen Mann erkannt. Es ist die Nummer 74.«
Teerboom drückte erneut auf eine Taste, und Anna gab ein nervöses Zischen von sich, als das Foto auf dem Monitor erschien. Helens Mörder sah gut aus. Er mochte vielleicht Anfang fünfzig sein und hatte ein schmales, ebenmäßiges Gesicht mit einer geraden Nase und vollen Lippen, die zu einem leicht ironischen, aber nicht unangenehmen Lächeln nach oben gezogen waren. Sein dunkles Haar war an den Schläfen ergraut, und seine von zahlreichen Lachfalten umgebenen Augen strahlten Intelligenz, Humor und Vertrauenswürdigkeit aus. Es war das, was man früher ein gutes Gesicht nannte.
»Verdammt«, sagte Anna, »dieser Mirko muss sich irren.«
Teerboom kramte in seinem Aktenkoffer und schob dann einen
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