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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Autofahrer trotz drakonischer Strafen vorzugsweise in zweiter Reihe, gerne auch auf dem Zebrastreifen parken und auf den ersten Blick irgendwie jeder macht, was er will. On s’arrange!
    Brüssel ist die Hauptstadt der EU, aber nicht der Belgier. Es gibt Flamen, Wallonen und eine kleine deutsche Minderheit, aber wie schon 1912 der Sozialist Jules Destrée dem damaligen König schrieb: Belgier gibt es nicht! Was das Land einst zusammenhielt, waren der König, die Fußballnationalmannschaft und das Bier, aber auch mit diesen nationalen Klammern ist heute nicht mehr viel Staat zu machen. Der König ist in Flandern unbeliebt, weil sein Niederländisch lausig ist, die belgische Nationalmannschaft kickt auf dem Niveau von Kasachstan, und der Biergenuss ist komplett regionalisiert. Kein anständiger Flame trinkt mehr das Gebräu aus dem Süden und umgekehrt. Und so kann es sein, dass den Belgiern ihr schöner Staat demnächst um die Ohren fliegt.«
    Anna grinste und sah aus ihrem Reiseführer hoch.
    »Die letzten vier Sätze waren von mir«, sagte sie.
    Wir saßen im Tea & Eat, einem der vielen Salons de Thé, in denen man sowohl süße Patisserie als auch herzhafte Snacks bekommt, und arbeiteten uns durch die Speisekarte. Anna hatte zu einer Kanne feinstem Darjeeling eine ganze Platte mit Antipasti, Bruschette und Caricolles verdrückt und war in gehobener Stimmung.
    Die Stadt gefiel uns. Es war unser fünfzehnter Tag in Brüssel, mein Kopf war wieder in Ordnung, und dank Villanis Geldkoffer hatten wir die Wartezeit mit einem umfangreichen touristischen Programm ausgefüllt.
    Anna hatte mich durch zahlreiche Museen geschleppt, von denen mir das Comicmuseum und das Musée des Sciences naturelles mit seinen altmodischen Sälen und den Mahagonivitrinen am besten gefiel, und jeden Abend hatten wir fantastisch gegessen. Wir waren durch das kongolesische Matongé-Viertel geschlendert, hatten im Travers hervorragenden Jazz gehört und uns in Jacques Breis Lieblingslokal A la Mort Subite mit Gueuze aus der hauseigenen Brauerei betrunken. Jetzt fühlte ich mich wie am letzten Tag eines gelungenen Urlaubs, dem nur noch ein krönender Abschluss fehlte. Der Tod von Monsieur Morisaitte.
    »Am besten, du isst jetzt nichts mehr«, sagte Anna kauend, »ich habe für heute Abend einen Tisch im Notos reserviert. Und zwar schon vor einer Woche.«
    »Hast du nicht langsam genug von der Fresserei?«
    »Das Notos ist der zurzeit angesagteste Gourmettempel in Brüssel. Feinstes Art-déco-Interieur, und jetzt halt dich fest: griechische Nouvelle Cuisine! Kannst du dir das vorstellen? Kein Gyros!«
    Ich versuchte, es mir vorzustellen, aber ich war nervös und unkonzentriert. In der letzten Nacht hatte ich von dem Mann geträumt, der mit zerfetzter Brust von einer unsichtbaren Hand durch die Tür eines Bauernhauses geschleudert worden war. In meinem Traum hatte ich keine Schüsse gehört, aber der Kupfergeruch von Blut war allgegenwärtig gewesen, und mir war davon so übel geworden, dass ich aufgewacht war. Allerdings hatte der Traum nichts an meinem Plan geändert, noch einen Mann zu töten. Ich wusste nur noch nicht, wie ich es anstellen sollte, und vor allem nicht, wie es danach weitergehen würde.
    Am Vormittag hatte ich mit dem Verwaltungsleiter meines Instituts in München telefoniert und um unbezahlten Urlaub gebeten. Ich gab vor, aus Schweden anzurufen, und erzählte ihm, dass die Demenz meines Vaters so weit fortgeschritten sei, dass meine Mutter ohne meine vorübergehende Hilfe nicht mehr zurechtkam. Dr. Colmar hatte sich meine Geschichte mit dem üblichen Desinteresse angehört und lediglich wissen wollen, ob Max Althaus meine Vertretung übernehmen würde. In der Gewissheit, dass der Kollege Althaus keine Wahl hatte, hatte ich dies nachdrücklich zugesichert. Sorry, Max.
    »Wenn Sie am ersten August nicht wieder hier sind, sind Sie draußen«, sagte Colmar statt eines Abschiedsgrußes. Dann hatte er einfach aufgelegt.
    Ich hatte keine Ahnung, wo ich am ersten August sein würde. Vielleicht in München, vielleicht in einem Hamburger Untersuchungsgefängnis, vielleicht in Buenos Aires. Es war mir egal.
    Dann fing mein Handy auf dem Tisch zu tanzen an. Ich hatte den Klingelton ausgestellt, und der Vibrationsalarm ließ das winzige Telefon auf der polierten Tischplatte hüpfen wie ein Scherzartikel. Ich erkannte die Stimme sofort.
    »Wir können liefern«, sagte Verlaine.
    »Wann und wo?«
    »Warum nicht gleich? Kommen Sie bei uns vorbei.

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