Oelspur
Flaschen Corona zurück.
»Ich weiß nicht, warum Helen diesen Yuppiescheiß kaufen musste. Wenn an Deutschland was gut ist, dann das Bier.«
Sie öffnete die Flaschen mit dem Hausschlüssel, schob mir eine zu und setzte sich wieder an den Tisch.
»Was immer du vorhast«, sagte sie, »ich werde dabei sein.«
»Ich will morgen in die Gerichtsmedizin. Und ich will mit diesem Dr. Meiners sprechen.«
»Okay, ich habe ein Auto.«
Wir tranken schweigend Bier, und Anna hatte wieder zu weinen angefangen. Die Tränen gaben ihrem Make-up den Rest.
»Das mit der Platzangst habe ich irgendwie von früher gewusst, aber wir haben uns so wenig gesehen, dass das nie ein Thema war. Du bist so eine Art Seelenklempner, oder?«
»Nein. Ich beschäftige mich mit Hirnforschung. Mich interessiert zum Beispiel, welcher Teil deiner grauen Zellen kaputtgehen muss, damit du deine Mutter nicht mehr wiedererkennst.«
»Davon kann man leben?«, fragte Anna mit deutlichem Zweifel.
»Ich versuch es. Und wovon lebst du so?«
»Ich brauch nicht viel«, sagte sie und hatte offenbar nicht die Absicht, das Thema weiter zu verfolgen. Stattdessen schien sie ihre Abneigung gegen mexikanisches Bier überwunden zu haben und holte zwei neue Flaschen aus dem Kühlschrank.
»Hast du den Bullen von der gelöschten Festplatte erzählt?«
»Mache ich morgen. Wenn wir aus Warnemünde zurück sind. Willst du auch mit in die Pathologie?«
Anna schüttelte stumm den Kopf.
»Ich werde heute Nacht hier schlafen«, sagte sie nach einer Weile.
»Okay, hol mich morgen um zwölf Uhr hier ab.«
Ich schrieb ihr die Adresse meines Hotels auf einen Zettel und stand auf, um zu gehen.
»Warum willst du schon weg?«
»Ich kann nicht mehr.«
Ich winkte ihr mit meinem schmerzenden Arm zu und ging einfach. Hinter mir hörte ich, wie Anna die Tür schloss und den Schlüssel zweimal herumdrehte. Auf dem Weg ins Hotel dachte ich darüber nach, wie sie wohl ihre so reichhaltigen Erfahrungen mit der Staatsgewalt gesammelt hatte. Wenn sie wusste, was sie auf einem Polizeirevier erwartete, hatte sie mir jedenfalls einiges voraus.
»Die waren höflich zu mir, obwohl sie meine Akte hatten!«
Das hatte sie mehr als alles andere misstrauisch gemacht. Was war das für eine Akte? Ich beschloss, Geldorf danach zu fragen. Warum aber hatte Helen ihre Schwester nie erwähnt? Woran hatte sie gearbeitet? Ich wusste überhaupt nichts.
Sieben
A
m nächsten Morgen rief ich im Institut in München an und nahm meinen gesamten restlichen Jahresurlaub. Niemand schien ein Problem damit zu haben. In einer Apotheke besorgte ich mir eine Heparin-Salbe für meinen Arm, telefonierte danach mit der Sekretärin von Dr. Meiners in Warnemünde und vereinbarte einen Termin für den Nachmittag.
Um neun Uhr morgens fuhr ich mit dem Taxi zur Gerichtsmedizin. Seit dem Gespräch mit Born und Geldorf hatte ich mich vor diesem Augenblick gefürchtet.
Sie lag auf einer Bahre in einem kleinen kühlen Raum, in den mich ein junger Pathologe hineingeschoben hatte. Ihr Körper war mit einem dünnen weißen Laken bis zum Hals abgedeckt. Unter dem Tuch war sie nackt. Die kurz geschnittenen blonden Haare waren gekämmt und die Augen geschlossen. Sie sah sehr zart und schön aus, aber als ich ihre Wange berührte, spürte ich die überwältigende Kälte des Todes. Jetzt nahm ich auch den y-förmigen Schatten unter dem Leinentuch wahr.
Der junge Arzt hinter mir räusperte sich leise und sagte:
»Die Freigabe des Leichnams ist verschoben worden. Die Obduktion ist noch nicht abgeschlossen.«
Ich muss vollkommen verwirrt ausgesehen haben, denn er setzte hinzu:
»Wenn Sie sie bestatten wollen – Sie müssen noch warten damit.«
»Ja, gut. Aber warum überhaupt die Obduktion? Ich dachte, alles sei klar!«
»Jemand von der KTU hat etwas gesehen, was der Unfallarzt nicht bemerkt hatte. Er hat es Geldorf erzählt, und der hat mit dem Staatsanwalt gesprochen. Aber fragen Sie doch Geldorf selbst. Er muss irgendwo auf dem Flur draußen sein.«
Ich traf ihn auf einem der Korridore, die aus dem Reich der Toten hinausführten. Seine massige Gestalt lehnte an der Wand, und er betrachtete unschlüssig einen Zigarillo, den er in seinen dicken Fingern hin und her drehte. Als er mich sah, zwinkerte er mit den Augen und kam mir entgegen.
»Sie sehen nicht gut aus!«, sagte er.
Ich schwieg, und Geldorf fing an, seinen Zigarillo so umständlich wie möglich in der Innentasche seines Sakkos zu verstauen.
»Tut mir
Weitere Kostenlose Bücher