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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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hatte.
    »Was haben Sie jetzt vor?«, fragte er. »Fahren Sie zurück nach München?«
    »Ich will auf jeden Fall bei der Beerdigung dabei sein. Vielleicht muss ich Anna helfen, die Wohnung aufzulösen. Und ich will wissen, was Sie herausfinden.«
    »Gut. Ich muss jetzt los. Wir rufen Sie an, wenn es Neuigkeiten gibt.«
    Er sprang auf, warf sich seinen Trenchcoat über die Schultern und stapfte ohne ein weiteres Wort hinaus. Als er nicht mehr zu sehen war, ging ich zum Tresen und holte mir einen doppelten Cognac.

Acht
    A
    nnas Auto war ein alter VW-Bus. Einer von der Art, mit der es die Hippies der Siebziger bis nach Indien geschafft hatten. Ich war optimistisch, dass er bis Warnemünde durchhalten würde. Bei Anna war ich mir nicht so sicher. Sie schien nicht geschlafen zu haben, und bei der Auffahrt auf die Autobahn Richtung Rostock übersah sie einen schönen, großen Sattelschlepper, der im letzten Augenblick nach links rüberzog.
    »Soll ich fahren?«
    »Geht schon«, sagte sie, »muss nur erst wach werden!«
    »Riecht ein bisschen nach Pot hier, oder?«
    »Ja, das ist ein Leihwagen.«
    Anna schwieg eine Weile und konzentrierte sich aufs Fahren. Dann drehte sie ihren Kopf zu mir und grinste spöttisch.
    »Hast du wirklich mal diesen Wildwasserquatsch gemacht?«
    Ich hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, was Geldorf mir in der Pathologie erzählt hatte und wie ich es Anna beibringen sollte. Ihre Frage traf mich völlig unvorbereitet.
    »Was meinst du?«
    »Na, das mit dem Rudern. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass einem normalen Menschen so was Spaß macht. Wo kann man in Bayern denn fahren?«
    »Es gibt eine Menge Flüsse, die infrage kommen. Ich habe hauptsächlich im Augsburger Eiskanal trainiert.«
    »Ist das gefährlich?«
    »Der Eiskanal nicht, aber ich bin auch im Ötztal gefahren, das war schon gefährlich.«
    »Wow«, sagte Anna.
    »Ja, wow«, sagte ich böse, »hast du auch mal irgendeinen Sport gemacht? Ich meine, außer Steinewerfen?«
    Anna zuckte zusammen und sah mich an, als ob ich sie geschlagen hätte. Danach war Funkstille. Etwa auf halber Strecke hielten wir an einer Raststätte, und ich erzählte ihr von meinem Vormittag in der Gerichtsmedizin und von Geldorfs Verdacht. Sie hörte reglos zu und starrte mich aus rot verheulten Augen an.
    »Er will damit sagen, dass jemand sie vielleicht getötet hat.«
    »Ja, Scheiße, ich weiß, was er damit sagen will!«, zischte sie.
    Ich schwieg und sah sie abwartend an. Sie hatte das schwarz zerlaufene Augen-Make-up vom Vorabend entfernt und sah sehr blass und zerbrechlich aus. Jedenfalls nicht nach Widerstand gegen die Staatsgewalt.
    »Lass uns weiterfahren«, sagte sie nach einer Weile, »schauen wir uns diesen Meeresdoktor an.«
    Den Rest der Fahrt über sagte sie kein Wort mehr. Das Institut für Meeresbiologie war ein flacher, lang gestreckter Bau, umgeben von einem kleinen Park, in dem schon einige mutige Krokusse der fahlen Aprilsonne entgegensprossen. Als wir die Eingangshalle betraten, sahen wir an den Wänden riesige Schautafeln, auf denen Fische, Meeresvegetation und Fotoreihen von Küstenlandschaften zu sehen waren. Das Foyer war menschenleer.
    »Was zum Teufel wollte sie hier?«, fragte Anna.
    Dr. Meiners’ Büro lag am Ende eines langen, hell erleuchteten Ganges. An der Zimmertür war ein großes Plakat angebracht, das ein überdimensionales Fischstäbchen zeigte. Darunter stand in großen Lettern:
    »Wenn das für Sie Fisch ist, kann Ihnen die Nordsee auch egal sein!«
    Ich klopfte und trat ein, als eine heisere Männerstimme »Herein« rief. Anna blieb dicht hinter mir. Dr. Meiners war ein großer, kahlköpfiger Mann mit Seehundschnauzbart und Nickelbrille. Er saß hinter einem chaotisch mit Papier überfüllten Schreibtisch und erhob sich, als wir den Raum betraten. Das Büro war klein und ziemlich muffig. Meiners hatte einen festen Händedruck.
    »Hallo, wir waren verabredet, nicht wahr? Meine Sekretärin hat mir einen Zettel hinterlassen, dass Sie kommen wollten. Aber nicht, warum. Nehmen Sie doch Platz.«
    Er deutete mit einer vagen Handbewegung auf zwei Stühle, die vor dem Schreibtisch standen. Wir setzten uns, und Meiners betrachtete uns mit leiser Ungeduld.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Mein Name ist Nyström, und das ist Anna Jonas. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Sehen Sie, wir haben Ihre Visitenkarte gefunden, und zwar bei dieser Frau.«
    Ich griff in meine Jackentasche, holte ein Foto heraus

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