Oelspur
und schob es zu Meiners hinüber. Er nahm es in die Hand, warf einen kurzen Blick darauf und nickte.
»Ich kenne sie. Eine Reporterin. Worum geht es?«
»Ist sie hier gewesen?«
»Ja, vor etwa drei Wochen. Ich weiß nicht, wie sie auf mich gekommen ist, aber sie sagte, sie sei Journalistin, und stellte eine Menge Fragen.«
Ich musste schlucken, und meine Stimme war fast so heiser wie seine.
»Dr. Meiners, würden Sie uns erzählen, was sie wissen wollte?«
Meiners runzelte die Stirn und schien kurz zu überlegen.
»Warum nicht? Sie wollte eine Menge wissen, aber im Wesentlichen ging es um einen Punkt. Sie wollte wissen, was eine Ölpest ist.«
»Eine Ölpest?«
Meiners zuckte mit den Schultern.
»Genau das. Ich meine, jeder kennt die Fernsehbilder. Verdreckte Strände und sterbende Vögel, an denen irgendwelche Greenpeace-Leute herumputzen. Sehr medienwirksam. Aber sie wollte es genauer wissen, wissenschaftlicher.
»Wie weit soll ich denn ausholen?«, habe ich sie gefragt. Und sie sagte:
»Fangen Sie einfach mal an, und ich sage Ihnen, wenn es reicht. Sie hatte so eine lässige Art, wissen Sie.«
»Ja«, sagte ich, »wir kannten sie.«
Mein Hals fühlte sich trocken an, und ich spürte einen leise pochenden Schmerz hinter den Schläfen.
»Könnten Sie uns einfach das erzählen, was Sie ihr erzählt haben?«
»Klar«, sagte Meiners, »dauert zwanzig Minuten.«
»Fangen Sie doch einfach an, und wir sagen Ihnen, wenn es reicht«, sagte Anna, die bisher geschwiegen hatte. Der Satz gefiel ihr.
Dr. Meiners grinste und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Sehen Sie, in den Medien ist meistens von einer Ölpest die Rede, wenn wieder mal ein Tanker havariert und irgendeinen Küstenlandstrich versaut. Aber das ist nur die halbe Miete. Es gibt nämlich zunächst mal eine schleichende Ölpest. Das ist die ›normale‹ Einleitung von Öl ins Meer, wie sie ganz legal durch den Schiffsbetrieb, Raffinerien oder Offshore-Bohrinseln stattfindet. Das sind immerhin schon mal rund 100000 Tonnen Öl, die jedes Jahr allein in die Nordsee laufen, ohne dass sich groß jemand dafür interessiert.
Ja, und dann gibt es noch die akute Ölpest. Das ist das, was Sie aus dem Fernsehen kennen. Exxon Valdez, Erika, Prestige, zuletzt die Alhambra. Irgendeiner von den schwimmenden Schrotthaufen säuft ab, und es kommt zu einer akuten, aber regional begrenzten Verseuchung einer ganzen Küste. Das ist die große Zeit der Vogelfreunde.«
»Wieso hacken Sie auf den Tierschützern rum?«, fragte Anna.
Meiners’ Zynismus ging ihr offensichtlich auf die Nerven.
»Tu ich nicht. Es sind aufrüttelnde Bilder, die um die halbe Welt gesendet werden. Man kann damit die Öffentlichkeit für den Naturschutz mobilisieren, bloß den Vögeln hilft es nichts. Nach britischen Studien liegt die mittlere Überlebensdauer von gereinigten Vögeln bei sieben Tagen. Ökologisch macht die Rettung einzelner Tiere sowieso nur Sinn, wenn sie sich hinterher wieder der Brutkolonie anschließen und Nachwuchs produzieren. Das passiert ziemlich selten.
Schauen Sie, ölverseuchte Seevögel krepieren gleich mehrfach. Wenn ein Vogel mit Öl in Kontakt kommt, fängt er zwanghaft an, sich zu putzen. Das geschluckte Öl vergiftet ihn, gleichzeitig verhungert er, weil er so lange nichts frisst, bis er sein Gefieder gesäubert hat. Das Öl zerstört schließlich die Strukturen, die ihn vor Wasser schützen, sodass er auch erfriert.«
Meiners kam langsam in Fahrt. Er starrte mich an und schien auf die nächste Frage zu warten.
»Aber es werden ja nicht nur Vögel getötet!«
»Natürlich nicht. Die giftigen Substanzen im Öl töten massenhaft Kleinstlebewesen im Meer, welche die Hauptnahrungsquelle der Fische sind. Die Fische, die nicht schon an Ölverschmierung oder Sauerstoffmangel eingegangen sind, verhungern. Dadurch stehen sie natürlich als Nahrung für die Seevögel nicht mehr zur Verfügung. Aber die hatten wir ja schon.
Am Ende der Kette steht der Mensch, wie man so schön sagt. Fischer und Muschelzüchter sind innerhalb von zwei Tagen ruiniert. Der Tourismus in der Region geht den Bach runter, und schließlich landen die im Öl enthaltenen Giftstoffe über den weltweiten Export von Meeresprodukten auf Ihrem Teller. Denken Sie mal dran, wenn Sie zur nächsten Krebsvorsorge gehen.«
»Ist das Zeug wirklich so giftig?«, fragte Anna.
Ich sah ihr an, dass die Sache mit dem Vögelputzen noch nicht gegessen war.
»Kommt drauf an, welche Art von Öl es
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