Oelspur
Hamburger Allgemeinen Zeitung.
Zwölf
H
elens Arbeitsbedingungen waren keineswegs so trostlos gewesen, wie ich angenommen hatte. Ihr Schreibtisch stand in einem hellen Büroraum, dessen Größe für ihre Klaustrophobie wohl gerade noch annehmbar gewesen war. Es gab Teppichboden, Klimaanlage und geschmackvolle Kunstdrucke an den Wänden.
»Sie hatte das Büro für sich allein«, sagte der Chef der Wirtschaftsredaktion stolz und schob mich mit seinem Bauch quasi vor sich her in den Raum hinein.
»Frau Jonas war eine außerordentlich geschätzte Mitarbeiterin. Praktisch meine rechte Hand. Politisch eigentlich ein bisschen zu links für unser Blatt, aber klasse. Ökonomischer Sachverstand, detektivische Qualitäten und ein cooler Stil, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Und wie ich das verstand. Dr. rer. pol. Kubens war ein kleiner dicker Mann mit einem roten Churchill-Gesicht und einer erschütternd schlecht gemachten Schwarzhaarperücke. Er wieselte an mir vorbei, hockte sich mit einiger Mühe auf die Kante von Helens Schreibtisch und sah mich erwartungsvoll an.
»Könnten Sie mir sagen, woran sie zuletzt gearbeitet hat?«
»Vielleicht könnte ich das, aber warum sollte ich? Ich kenne Sie gar nicht!«
Das hatte ich befürchtet. Ich hatte mich als enger Freund von Helen vorgestellt und angedeutet, dass wir kurz davor gewesen waren zu heiraten. Mein Wunsch, ihr Büro zu sehen, war sofort auf Verständnis gestoßen, aber das war es auch schon.
»Alles, was Frau Jonas geschrieben, und alle Informationen, die sie gesammelt hat, sind Eigentum der Zeitung, und das Material, das wir gefunden haben, sichten wir gerade. Und hier werden Sie auch nichts finden. Ihren PC haben unsere EDV-Leute gesperrt, den Terminkalender hat die Polizei mitgenommen, und der Schreibtisch ist auch leer. Ach ja, bis auf ein Foto von Ihnen in der Schublade.«
Er ließ mir Zeit, darüber nachzudenken, warum Helen offensichtlich keine Lust gehabt hatte, mein Foto auf ihrem Schreibtisch zu sehen, und schaute dann demonstrativ auf seine Rolex.
»Offen gestanden, weiß ich eigentlich überhaupt nicht …«
»Kommt Ihnen das nicht ein bisschen komisch vor? Eine gesunde 37-jährige Nichtraucherin, die dreimal die Woche um die Alster joggt, aber niemals in die Sauna geht, stirbt an Herzversagen in einer Saunakabine, in die man sie wegen ihrer Platzangst hätte hineinprügeln müssen. Eines weiß ich: Helen hätte diese Geschichte nicht gekauft.«
Jetzt hatte ich seine Aufmerksamkeit. Kubens glitt von der Schreibtischkante und starrte mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugier an. Sein leutseliger Whiskybariton gewann deutlich an Schärfe.
»Wollen Sie damit andeuten, dass Sie beim Tod von Frau Jonas an eine Fremdeinwirkung glauben? Wegen etwas, das mit ihrer Arbeit zu tun hatte? Die Polizei hat doch schließlich …«
»Ich bin schwer glaubensgeschädigt, wissen Sie, und speziell bei dieser Saunageschichte. Und ich finde nichts heraus, weil niemand mit mir sprechen will.«
Kubens schien intensiv darüber nachzudenken und zuckte mit den Schultern.
»Es war nichts Besonderes. Ich meine, woran sie gearbeitet hat«, sagte er schließlich und zwinkerte nervös mit seinen rot geäderten Augen. »Sie hat eine Artikelreihe vorbereitet über die Osterweiterung der EU. Und sie ging einem Gerücht nach, dass jemand von der Börsenaufsicht mit einigen Analysten zusammen illegale Insidergeschäfte betrieben haben soll. In Frankfurt allerdings, das …«
In diesem Augenblick ertönte ein durchdringendes elektronisches Piepen. Kubens zuckte zusammen und fischte umständlich sein Handy aus der Jackentasche. Er hörte einen Augenblick zu und antwortete dann in perfektem, rasend schnellem Spanisch. Dabei drehte er mir den Rücken zu und ging, immer weiterredend, langsam aus dem Zimmer. Ich hörte ihn auf dem Flur vom Spanischen ins Englische wechseln und starrte dabei auf Helens Schreibtisch. Was wollte ich hier noch? Ich widerstand der Versuchung, die Schreibtischschubladen aufzuziehen. Warum hätte Kubens lügen sollen? Wenn er sagte, der Schreibtisch sei leer, war er leer. Er hätte mich sonst auch gar nicht allein in dem Zimmer gelassen. Was die Polizei nicht hatte, war jetzt in den Händen der Redaktion. Aber irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, dass sie das hatten, was ich finden wollte. Und was derjenige finden wollte, der mindestens zweimal in Helens Wohnung gewesen war. Kubens war einfach zu eitel, um einen Triumph zu verbergen.
Die
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