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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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sie undeutlich, »kurz vor Hamburg!«
    »Ich habe was gefunden.« Ich holte den kleinen Schlüssel aus meiner Hosentasche und begann, das Pflaster abzufummeln.
    »Jetzt mach es nicht so …« Die Verbindung wurde schlechter. »Scheißhandy … Ich will wissen …«
    »Wir treffen uns heute Nachmittag in Helens Wohnung. Ich hör dich kaum noch. Weißt du, ob Helen ein Bankschließfach hatte?«
    »Keine Ahnung. Wieso?«
    Und dann war die Verbindung wirklich weg. Ich sah mir den Schlüssel genauer an. Er war relativ klein, flach und billig. Auf der einen Seite war die Nummer 208 eingestanzt.
    Ich war ziemlich sicher, dass Helen ein Bankschließfach hatte, aber ebenso sicher war ich mir, dass ein Schlüssel nicht ausreichen würde, um da heranzukommen. Die Nummer deutete auf einen Schließfachschlüssel hin, aber es konnte auch ein Zimmerschlüssel sein, vielleicht für ein billiges Hotel. Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor zwölf. Ich beschloss, es auf gut Glück bei den Bahnhofsschließfächern zu versuchen und anschließend irgendwo etwas zu essen. Der Bahnhof Dammtor lag etwa zwanzig U-Bahn-Minuten entfernt, und ich hatte jede Menge Zeit.
    Großstadtbahnhöfe gleichen sich auf merkwürdige Weise. Hamburg, Mailand, Barcelona, die Architektur mag verschieden sein, aber die unglaubliche Lärmkulisse, der Gestank nach Schweiß, Dieselöl und Hamburgern, die afrikanischen Dealer und die alles beherrschende Hektik, all das ist erstaunlich ähnlich.
    Ich schlängelte mich an einer Horde grölender Skinheads vorbei, schaffte es aber nicht, zwei alten Tanten auszuweichen, die mir ihren Kofferkuli in die Hacken rammten. Ein paar türkische Jugendliche versuchten, mit ihren Ghettoblastern die Heilsarmee aus dem Takt zu bringen, und der private Sicherheitsdienst war wie immer damit beschäftigt, die Junkies herumzuscheuchen. Ein schmutziger, stickiger, wunderbar anonymer Ort, den ich vor drei Tagen aus entgegengesetzter Richtung durchquert hatte, um jemanden zu besuchen, der bereits tot war.
    Ich folgte den Hinweisschildern und stand nach wenigen Minuten vor einer Wand mit Schließfächern. Mit schmalen Augen verfolgte ich die Zahlenreihe, und dann sah ich es. Es gab tatsächlich ein Fach mit der Nr. 208. Die Tür war verschlossen. Und ich hatte einen Schlüssel. Ich widerstand der Versuchung, mich erst nach allen Seiten umzusehen, schlenderte lässig und wie selbstverständlich auf die Schließfächer zu, schloss die 208 auf und holte heraus, was drin war.
    Es war eine gewöhnliche Reisetasche, blau-schwarz, gutes Fabrikat. Ob sie Helen gehörte, konnte ich nicht sagen. Wenn wir zusammen weggefahren waren, hatte sie immer einen ramponierten Samsonite-Koffer bei sich gehabt. Die Tasche hatte ich noch nie gesehen. Ich trug sie zu einem Stehcafé, bestellte Cappuccino und Croissants und bereitete mich auf den großen Augenblick vor. Dann öffnete ich den Reißverschluss und machte ihn sofort wieder zu. Die Tasche gehörte Helen, da war ich jetzt ziemlich sicher. Sie war mit Kleidung gefüllt, und in der Sekunde, als der Reißverschluss geöffnet war, hatte ich einen von Helens Kaschmirpullovern obenauf liegen sehen, den ich unter Hunderten wiedererkannt hätte. Es war nur so, dass der teure, schöne Pullover eine irgendwie unschöne Gesellschaft bekommen hatte. Auf der seidigen Wolle lag eine kleine, silbrig glänzende Pistole.
    Ich hielt mich mit beiden Händen an der Platte des Stehtisches fest, und unter meinen Achseln bildeten sich kleine Schweißbäche, die sich kühl an den Rippenbögen vorbei nach unten arbeiteten. Was hatte ich zu finden erwartet? Alles Mögliche, nur keine Waffe, und wo zum Teufel hatte sie die her? Egal. Entscheidend war eine andere Frage. Was hatte ihr derartig Angst gemacht, dass sie auf die Idee mit der Pistole gekommen war? Eine Waffe passte nicht zu ihr. Genauso wenig wie die Angst. Helen hatte für körperliche Gewalt nichts als kalte Verachtung übriggehabt, und abgesehen von ihrer Klaustrophobie war sie eine zähe und mutige Frau gewesen. Mutiger jedenfalls als ich.
    Schatz, dazu gehört nicht viel.
    Deutlich und melodisch, mit einem Hauch von Kälte jetzt, hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf, und die gallebittere Schlussfolgerung traf mich wie ein Schlag in den Magen.
    Sie hatte mich nicht um Hilfe gebeten. Sie hatte Angst gehabt, so viel Angst, dass sie sich eine Waffe besorgt hatte, und mir nicht ein Sterbenswort davon gesagt.
    Sie hatte mir nicht vertraut, mir nicht zugetraut, ihr helfen

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