Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
Vom Netzwerk:
Büroausstattung war Standard. Telefon, PC, schicke, schwarze Schreibtischlampe, dazu passend eine schwarze Schale für Schreibutensilien, ein Tacker, ein voluminöser Locher von Leitz und die kleine Nachbildung eines Computers aus weichem Kunststoff, auf der »Comparex« stand. Ein Scherzartikel für frustrierte PC-Benutzer. Ich schlug mit der flachen Hand kräftig drauf und hörte ein schepperndes Geräusch, gefolgt von einem höhnischen Lachen. Als Nächstes nahm ich den großen Leitz-Locher in die Hand, fasste ihn an dem massiven Hebel, der zum Lochen hinuntergedrückt wird, und schwang ihn durch die Luft. Eine handliche Waffe, wenn das Mobbing im Büro mal überhandnahm. Auf der Unterseite des Lochers sah man durch den Plastikdeckel hindurch Unmengen der kleinen, konfettiähnlichen Schnipsel, die beim Lochen von Papier anfallen. Und ein kleines bräunliches Rechteck. Das dort definitiv nicht hingehörte. Kubens’ Stimme kam wieder näher. Er sprach jetzt Deutsch und war offenbar stinksauer. Ich hielt den Locher über den Papierkorb, öffnete die Plastikverschalung und ließ das Konfetti hineinrieseln.
    »… lass mich doch nicht verarschen, sehen Sie zu, dass Sie damit fertig werden, und kommen Sie mir nicht mit …«
    Das hellbraune Rechteck war ein Stück Heftpflaster. Ich versuchte, es mit meinen kurz geschnittenen Fingernägeln abzulösen, bekam es aber nicht richtig zu fassen.
    »… irgendwelchen bescheuerten Ausreden. Wenn Sie den Druck nicht aushalten …«
    Mit dem Heftpflaster war etwas an die Unterseite des Lochers geklebt. Ich riss es mit dem Pflaster heraus, ließ beides in meine Hosentasche gleiten und brachte die Plastikverkleidung wieder an.
    »… dann suchen Sie sich einen Job beim MDR«, sagte Kubens und steckte das Handy mit einer demonstrativ genervten Geste in seine Jackentasche. Er stand mitten in der Tür und sah mich erstaunt an. Ich hielt den Locher noch in der Hand.
    »Den müssen Sie aber hierlassen!«
    »Nun ja, einen Versuch war es wert«, sagte ich und brachte ein bemühtes Grinsen zustande, »und danke, dass ich das Zimmer sehen konnte!«
    Das Ding mit dem Pflaster darum brannte ein Loch in meine Hosentasche.
    »Schon gut. War’s das?«
    Kubens hatte seinen öligen Genießercharme abgeschaltet und mich offenbar in die Reihe der debilen Unterlinge aufgenommen, die man am Telefon oder sonstwo zügig abbügeln kann.
    Ich schob mich wortlos an seinem Bauch vorbei aus der Tür und ging über den Flur zum Fahrstuhl.
    »Der Tod von Frau Jonas war ein Unglücksfall. Alle wissen das. Bloß Sie nicht!«
    Seine laute, sonore Stimme in meinem Rücken hatte nichts von ihrer Selbstsicherheit verloren. Oder war da ein winziger Hauch von Beunruhigung? Ich wusste es nicht.
    Ohne mich umzudrehen, hob ich die rechte Hand zu einem wortlosen Columbo-Gruß und stieg in den Fahrstuhl. Starker Abgang , sagte Helens Stimme in meinem Kopf. Du hättest deinen alten Trenchcoat mitnehmen …
    »Jetzt halt mal einen Augenblick die Luft an«, sagte ich leise, und sie war tatsächlich still. Zum Glück waren wir zwei allein im Fahrstuhl. Ich fingerte nach dem Pflasterding in meiner Hosentasche. Es hatte einen harten Kern, und ich hatte sofort gesehen, was es war. Der Fahrstuhl landete mit einem sanften Schnurren im Erdgeschoss, und ich beeilte mich, aus dem Gebäude hinauszukommen. Draußen umfing mich eine feuchtwarme, frühlingshafte Helligkeit, die mich blendete und sich auf eine intensive Weise mit meinem Triumphgefühl verband. Ich hatte eine Spur.
    Ich lief eine Weile durch die Einkaufsstraße, bis ich das Gefühl hatte, vom Verlagsgebäude weit genug entfernt zu sein, und setzte mich in das erstbeste Straßencafé. Die Vormittagssonne wärmte meinen Nacken, und auf dem Straßenpflaster verdunsteten die Reste des letzten Regenschauers. Ein paar Meter weiter spielte die obligatorische peruanische Folkloregruppe. Ein Feinkosthändler verscheuchte zwei Penner, die sich vor seinem Schaufenster gerade ihre erste Flasche Lambrusco genehmigten, und alle hatten es eilig. Sozusagen das Klischee einer deutschen Fußgängerzone. Ich fühlte mich fabelhaft. Das erste Mal, seit ich in Hamburg war, hatte ich das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. Ich bestellte Kaffee und Cognac, drehte mein Gesicht in die Sonne und wählte anschließend Annas Nummer auf dem Handy.
    Sie war sofort dran, und wieder war ich fasziniert davon, wie sehr ihre Stimme der ihrer Schwester glich.
    »Wo steckst du?«
    »Autobahn«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher