Oelspur
Irgendwas! Sagen Sie mir einen Grund, warum jemand Ihre Schwester umbringen sollte.«
»Finden Sie den Mann, der mit ihr an der Bar war. Vielleicht sagt der Ihnen den Grund!«, zischte Anna.
»Wir haben es versucht, aber das ist nicht so einfach. Die Beschreibungen der anderen Barbesucher sind vage und widersprüchlich. Offiziell liegt keine Straftat vor, und für eine Fahndung mit Phantombild und allem Drum und Dran gibt es gar keine Rechtsgrundlage.«
Anna schnaubte verächtlich und zuckte mit ihren gepiercten Nasenflügeln. Für alle deutlich erkennbar schluckte sie eine pampige Antwort hinunter und stand abrupt auf.
»Ich muss hier raus!«, sagte sie, zu mir gewandt, und stürmte durch die Tür nach draußen.
»Passen Sie ein bisschen auf sie auf«, sagte Geldorf.
»Ich hätte auf Helen aufpassen sollen!«
»Hören Sie auf damit«, sagte er leise, »hören Sie auf.«
Er sah mich durchdringend an, und da war etwas in seinem Blick, das ich nicht deuten konnte.
»Sie können jetzt gehen«, sagte er.
Als ich rauskam, war Anna weg und der VW-Bus auch. Ich trollte mich zum Hotel, legte mich angezogen aufs Bett und schaltete den Fernseher an. Der wunderbare Jean Reno brachte in Leon, der Profi einer Göre das Töten bei. Vor dem großen Schlussmassaker muss ich eingeschlafen sein. Ich träumte von Schalldämpfern, Mittsommernächten und Helens Stimme.
Elf
K
lick, die Maus ist weg. Das sind ihre Worte. Und natürlich hat sie recht. Eigentlich hat sie meistens recht. Nur dass ich nichts verstehe. Wenn sie diese modulationslose Cool-Jazz-Stimme hat, bin ich erledigt. Keine Argumente, kein Widerstand. The real girl from Ipanema. Ich will, dass sie weiterspricht, und gleichzeitig, dass sie endlich ruhig ist. Ich will ihre Stimme hören, ohne die Worte verstehen zu müssen. Klick, und die Maus ist weg. Ja, genau. Sie hat eine Art, in ihren Worten die Gewissheiten des Universums mitschwingen zu lassen, die mich rasend macht. Yo-Yo Ma. Der beste Cellist aller Zeiten. Keinen Streit mehr. Es reicht, wenn sie spricht. One-note Samba. Trotz ihrer Coolness wird sie wütend, weil ich wieder nichts begreife. Obwohl es so einfach ist. Einfach die Netze zusammenschalten. Aber Leon spielt da nicht mit. Jean Reno schüttelt seinen gutmütig-grimmigen Kopf und versteht nicht, dass sein alter Freund ihn beschissen hat. Er ist so verdammt clever, aber nur beim Töten, sagt Helen. Und deswegen kann es auch ihm passieren. Klick, und die Maus ist weg. Der Schalldämpfer nützt da überhaupt nichts. Der dämpft ja nicht mal das Telefon …
Und das stimmte auch. Es war kein Klingeln, sondern ein synthetisches, nervenzermürbendes Geräusch, das ich mir selbst ausgesucht hatte. Ich fuhr hoch, schnappte mir mein Handy und drückte den Anrufer weg. Klick, und die Maus war weg. Aber natürlich nicht für lange. »Don’t mess around with Mickey« stand auf den T-Shirts der Humorterroristen in Disneyland. Ich schaute auf das Display des Telefons und nahm das Gespräch an.
»Wo steckst du?«, fragte sie auf Schwedisch.
Meine Mutter spricht Schwedisch mit einem bayerischen Akzent, der ihre Freunde in Småland zu Freudentränen rührt. Wenn sie mit mir Schwedisch spricht, weiß ich, dass sie sauer ist. Es ist so eine Art Amtssprache für sie.
»Ich bin in Hamburg.«
»Ich dachte, du musst so viel arbeiten!«
»Helen ist tot.«
Ich hatte nicht vorgehabt, es ihr auf diese Weise beizubringen, aber ihr latent vorwurfsvoller Unterton stimuliert regelmäßig die dunkleren Seiten meines Charakters. Sie stieß einen erschrockenen kleinen Schrei aus, weinte eine Weile und schien sich vom Telefon wegzubewegen, dann war die Verbindung wieder da, und ihre munter-resolute Stimme klang beinahe wie immer.
»Wie ist das möglich?«
»Ich weiß es nicht! Die Ärzte sagen, es war das Herz.«
Meine Mutter hatte Helen gemocht, und ich glaube, sie war erschüttert, aber da Helen nun einmal tot war, kam sie ohne Umschweife auf ihr ureigenes Thema zurück. Schließlich war ich ihr einziger Sohn.
»Wie geht es dir jetzt?«
»Geht so. Ich will noch ein paar Dinge klären und bis nach der Beerdigung in Hamburg bleiben. Danach komme ich zu euch hoch.«
Sie schwieg.
»Hast du nicht deshalb angerufen?«
»Gunnar ist gestern abgehauen.«
»Was heißt ›abgehauen‹?«
»Abgehauen, weggemacht, ausgerissen, das heißt es. Er hat das Haus verlassen, ist in einen verdammten Überlandbus gestiegen und hundert Kilometer nach Süden gefahren. Irgendwann ist
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