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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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zu können, darauf lief es hinaus. Und? Hätte ich ihr helfen können? Bei Schwierigkeiten, für deren Lösung man sich eine Waffe besorgt, statt zur Polizei zu gehen? Aber vielleicht war sie ja zur Polizei gegangen, und Geldorf hatte es nur nicht für nötig befunden, mir davon zu erzählen. Vielleicht war es ja so, dass überhaupt niemand einen Sinn darin sah, mir irgendwas zu erzählen.
    Ein junges Pärchen am Nachbartisch hatte mit dem Dauerknutschen aufgehört und starrte mich leicht beunruhigt an.
    Aber ja, meine Lieben, glotzen Sie nur ein bisschen, aber Abstand halten! Was Sie auch quält, was immer Sie bedrückt, fragen Sie auf keinen Fall Dr. Nyström! Er wird es vermasseln, obwohl er jetzt eine Kanone hat.
    Einen winzigen Augenblick lang verspürte ich den irrsinnigen Impuls, die Pistole herauszuholen und damit herumzufuchteln. Wie einer dieser arabischen Flugzeugentführer in amerikanischen Filmen.
    Zahlen Sie eine Fantastillion, oder alle in diesem Flugzeug werden sich zum Kondensstreifen gesellen.
    Helen hatte leise angefangen zu lachen, eigentlich war es mehr ein Kichern. Nicht hämisch, sondern eher fröhlich.
    Jetzt komm mal wieder runter. Cool down, wie meine kleine Schwester sagen würde.
    Seit wann hast du denn eine Schwester?
    Schau in die verdammte Tasche!
    Genau das hatte ich vor. Ich bückte mich, hob die Tasche an, drehte mich rasch um, und dann rammte ich den Eismann. Er war klein, dick, südländisch, und natürlich war er kein richtiger Eismann. Er war nur ein italienischer Papa, der für seine Brut vier Portionen Softeis geholt hatte. Die vier großen Waffeln hielt er noch in den Händen, nur dass das Softeis sich jetzt größtenteils auf meiner Jacke befand. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, es dort abzukratzen und auf seiner abschüssigen Glatze zu verteilen, aber seine Fassungslosigkeit und sein unglücklicher Gesichtsausdruck nahmen mir den Wind aus den Segeln. Er stammelte ununterbrochen Entschuldigungen, die ich nicht verstand, und förderte schließlich ein Taschentuch zutage, mit dem er an meiner Jacke herumputzen wollte. Das war eine Winzigkeit mehr, als meine blank liegenden Nerven vertragen konnten. Ich stieß ihn grob beiseite, starrte ein paar Schaulustige giftig an, die in der Hoffnung auf eine nette kleine Schlägerei stehen geblieben waren, und machte mich auf den Weg zu den Toiletten.
    Es mag Orte geben, die noch trostloser sind als ein Bahnhofsklo, aber so viele können es nicht sein. Ich stieß die Schwingtüren auf und befand mich mittendrin in 130 Quadratmeter neonerleuchtetem, eingekacheltem, nach Pisse stinkendem Elend.
    Ich suchte mir ein Waschbecken in der Ecke, stellte die Tasche neben mich auf den Boden und sah in den Spiegel. Mein mit Sommersprossen übersätes Gesicht war von einem Zweitagebart bedeckt, der im Neonlicht des Bahnhofsklos schmutzig grau schimmerte. Müdigkeit und die Anspannung der letzten Tage hatten ein paar Falten nachgefurcht, die vorher kaum zu sehen gewesen waren, und ich fühlte mich elend. Aber immerhin hatte ich die Tasche. Was auch immer drin war, es würde mir helfen herauszufinden, warum Helen gestorben war. Ich brauchte nur einen ruhigen Platz, um nachzuschauen.
    Die Tür zum Toilettenraum öffnete sich, und ich konnte spüren, wie die nach Urin und Desinfektionsmitteln stinkende Luft verwirbelt wurde. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass ein großer Mann mit einer schwarzen Jacke hereinkam, sich vor der Pissrille postierte und mit behaglichen Grunzlauten zu pinkeln anfing.
    Ich machte die Jacke sauber, wusch mir dann ausgiebig die Hände und stellte mir Geldorfs Gesicht vor, wenn ich ihm die Tasche zeigte. Wenn ich sie ihm zeigte. Nun mal langsam. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was in der Tasche war, und überlegte bereits, was ich der Polizei verheimlichen wollte. Warum eigentlich? Die Handwaschlotion stank nach Flieder und ließ sich mit dem kalten Wasser aus dem Hahn nicht richtig abspülen. Pisse, Flieder und Reinigungsmittel bildeten eine erlesene Duftkombination, und es kam noch ein weiterer Geruch dazu, den ich nicht sofort einordnen konnte.
    Der Typ zwei Meter rechts von mir vollführte zwei langsame Beckenstöße und hatte offenbar Schwierigkeiten mit dem Reißverschluss seiner Hose. Ich griff mir meine Tasche, wandte mich an ihm vorbei nach rechts dem Ausgang zu und registrierte noch, wie er mit zufriedenem Schnauben seinen Hosenbund hochschob und sich umdrehte.
    Dann ging alles extrem schnell. Mit einer

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