Oelspur
nervös zu zucken.
»Hat jemand von euch eine Zigarette?«
Statt eines bissigen Kommentars schüttelten beide nur den Kopf. Anna hatte wieder begonnen, an ihren Fingernägeln zu kauen. Besser als rauchen.
»Wie spät ist es?«, fragte ich schließlich.
»5.30 Uhr«, sagte Anna, »was spielt das für eine Rolle?«
»Eine gute Zeit für ein Expertengespräch.«
Ich rief die Telefonauskunft in Deutschland an und ließ mich verbinden. Nach dem fünfzehnten Klingeln ging er ran.
»Kubens!«
Ich erkannte die Stimme sofort wieder. Whisky, Zigarren und die Sorte leutseliger Arroganz, die einen in zwei Sekunden von null auf hundert bringt. Ich drückte auf den Lautsprecherknopf, sodass Anna und Ruth mithören konnten.
»Nyström hier. Ich brauche Ihre Hilfe, und ja, ich weiß, wie spät es ist.«
»Warum rufen Sie dann um diese Zeit an? Ich hätte noch mindestens zwei Stunden …«
»Es geht um Helen Jonas.«
Kubens schwieg. Ich hörte ihn leise fluchend im Zimmer herumkramen. Vielleicht konnte er sein Toupet nicht finden. Daraufhin das schmatzende Zischen einer Espressomaschine.
»Okay«, sagte er nach einer Weile, »was wollen Sie?«
Seine Stimme klang nicht gerade freundlicher, aber er war wach und interessiert.
»Ich brauche Informationen über weltweit agierende PR-Firmen, und ich denke, da bin ich bei Ihnen richtig.«
»Kommen Sie heute Vormittag in mein Büro, und wir sprechen darüber.«
»Ich bin in Schweden.«
Kubens seufzte resigniert.
»Natürlich kenne ich mich da aus. Die versuchen ja dauernd, Leute wie mich vor ihren Karren zu spannen. Bleiben Sie mal dran, ich brauche erst einen Kaffee.«
Einen Augenblick später war er wieder da und schlürfte genüsslich in den Hörer.
»Als Zeitungsmann sind Sie ununterbrochen den Manipulationen von PR-Firmen ausgesetzt. Es wird behauptet, dass heutzutage mindestens vierzig Prozent der Informationen einer Tageszeitung aus PR-Agenturen oder den Marketingabteilungen von Unternehmen, Behörden und Verbänden stammen. Sehr oft kommen die angeblichen ›Nachrichten‹ als wissenschaftliche Studien daher und werden gar nicht mehr als PR wahrgenommen. Aber was hat das alles mit Frau Jonas zu tun?«
»Warten Sie es ab. Wird in der Branche viel Geld verdient?«
»Machen Sie Witze? Das ist eine zügig wachsende Milliardenindustrie. Gehen Sie mal davon aus, dass in Deutschland circa 30000 Politik- und Wirtschaftsjournalisten etwa 18000 PR-Leute gegenüberstehen, Tendenz steigend.«
»Was wissen Sie über die Großen der Branche?«
»Na ja, man muss die selbstständigen privaten Firmen von denen unterscheiden, die im Auftrag von Regierungen aktiv werden. Da ist zum Beispiel die Rendon Group in Washington. Spezialgebiet: Mobilmachung der Öffentlichkeit. Die gehören praktisch zum Kriegsinventar der USA. Wo immer die Amis in den letzten fünfzehn Jahren in den Krieg zogen, war Rendon dabei. Panama, Afghanistan, Kuwait, manchmal sind die Jungs schon vor den Soldaten da. Erinnern Sie sich noch an die schönen Bilder vom Ersten Golfkrieg, als die Amerikaner 1991 auf Kuwait City zurollten? Hunderte von Kuwaitern standen am Straßenrand und schwenkten amerikanische und britische Fähnchen. Die hatten ihnen die Leute von Rendon vor den Filmaufnahmen in die Hand gedrückt. John Rendon hat später in einer Rede vor dem Nationalen Sicherheitsrat höchstpersönlich damit angegeben.
Oder nehmen Sie Hill & Knowlton. Die hatten 1990 von der US-Regierung den Auftrag bekommen, die Öffentlichkeit auf den Golfkrieg einzustimmen. Die Firma ließ vor Kongressabgeordneten eine junge kuwaitische Krankenschwester auftreten, die unter Tränen erzählte, wie irakische Soldaten in kuwaitischen Krankenhäusern Babys aus Brutkästen gerissen und zu Boden geworfen hätten. Die Horrorstory ging medienwirksam um die ganze Welt. Im Januar 1992 kam heraus, dass die »Krankenschwester« die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war. Eine Managerin von Hill & Knowlton hatte die Geschichte mit ihr einstudiert. Und so weiter und so weiter!«
Kubens schnaubte angeekelt und zündete sich offenbar eine Zigarre an. Fast konnte ich die Havanna durch den Hörer riechen.
»Was ist im ökonomischen Bereich?«
»Die sind genauso dreist. Positive Berichterstattung erzeugen und wissenschaftliche Studien frisieren – das ist das Geschäft. Immer mehr große Konzerne kommen zum Beispiel auf die Idee, sich als umweltfreundliche Saubermänner zu präsentieren. Da lassen sich dann die
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