Oelspur
du?«
»Sie sagte: ›Habe ich das richtig verstanden, dass Sie von Kriminellen verfolgt werden und dann zu uns gekommen sind?«‹
Ich schwieg betroffen, und Anna ließ mich in Ruhe.
»Deine Eltern sind sehr nett«, sagte sie schließlich, »besonders dein Vater. Als er reinkam mit dem Brief … Der Pyjama und das FC-Bayern-Cap, einfach genial.«
»Für Ruth ist es fürchterlich!«
»Es wäre einfacher für sie, wenn sie ihn nicht mehr dauernd vergleichen würde mit dem Menschen, der er einmal war. Der Vergleich kann nur traurig machen!«
»Na ja, der Mann, der er war, ist der, den sie geliebt hat. Und den gibt es nicht mehr.«
»Trotzdem«, sagte Anna nach einer Weile, »es muss schön sein, seine Eltern als Erwachsener besuchen zu können. Ich habe meine ja nur als Kind gekannt. Ich wäre ihnen gerne mal auf Augenhöhe begegnet.«
Ich warf einen Blick in den Rückspiegel und sah ein großes dunkles Auto, das sich mit hoher Geschwindigkeit näherte. Es war ein schwarzer Audi.
»Schau mal hinter uns, der Wagen«, sagte ich gepresst.
Anna sah in ihren Außenspiegel und gab ein kurzes Japsen von sich, das von einem erleichterten Stöhnen abgelöst wurde, als der Audi mit hundertachzig Stundenkilometer an uns vorbeischoss. Er hatte ein Berliner Nummernschild und war mit vier jungen Frauen besetzt, die uns fröhlich zuwinkten.
»Meinst du, wir haben die Typen in Lettland abgehängt?«, fragte Anna.
»Ich fürchte, die haben in jedem Land ihre Leute. Wenn wir die einen abhängen, finden uns eben andere.«
»Jaaa! Ist ja gut«, sagte Anna böse, »schon mal was von positivem Denken gehört?«
»Positives Denken mit blank liegenden Nerven? Wäre vielleicht ein Thema für meine Habilitation!«
Anna lachte schallend, und ich war froh darüber. Unser Streit auf der Fahrt nach Lettland hatte mich so viel Kraft gekostet, dass ich keinen neuen gebrauchen konnte.
»Meinst du, das Material von Helen ist in Sicherheit?«, fragte Anna nach einer Weile.
»Ich weiß es nicht!«
»Wie gehen wir vor, wenn wir wieder in Deutschland sind?«
»Wir müssen das ganze Zeug durchsehen und uns einen sicheren Weg ausdenken, es an die Öffentlichkeit zu bringen. Vielleicht sollten wir uns an Dr. Meiners in Warnemünde wenden. Schwieriger wird es sein, einen Zusammenhang zwischen der CD und Helens Tod herzustellen!«
»Wieso? Wir haben doch Helens Begleitbrief!«
»Ja, aber eben nur den. Okay, sie war einer großen Story auf der Spur. Man hat sie gewarnt, und sie hat Angst gehabt, aber ein Beweis, dass sie ermordet wurde, ist das für die Behörden möglicherweise nicht. Wir müssen aber jetzt erst eine naheliegendere Entscheidung treffen. Wie möchtest du nach Dänemark einreisen? Noch einmal Bötchen fahren oder mal was richtig Cooles sehen?«
Anna schaute misstrauisch.
»Du meinst die Brücke, oder?«
»Ich meine die Mutter aller Brücken, die Brücke, auf die selbst bayerische Halbschweden stolz sind!«
Anna sah mich belustigt an und nickte dann kurz. Also bog ich in Richtung Malmö ab, und nach einer guten halben Stunde reihten wir uns in die nicht allzu lange Autoschlange an den Mauthäuschen ein. Anna war schon beim Anblick der Öresundbrücke blass geworden, war aber gebührend beeindruckt.
»Eine Milliarde Euro«, sagte ich lässig, »mit fast acht Kilometern die weltweit längste Schrägseilbrücke für kombinierten Straßen- und Eisenbahnverkehr. Die Züge fahren unter der Autostraße.«
»Klasse«, sagte Anna tonlos, »und wenn wir vielleicht doch die Fähre in Helsingborg nehmen?«
Ich schüttelte den Kopf und spürte, wie die Pferde mit mir durchgingen.
»Mach dir keine Sorgen. Vor einiger Zeit wurden zwar bei einer Überprüfung etliche Schäden festgestellt, aber die sind behoben. Die feuchte Seeluft und die Erschütterungen durch die Züge machen der Brücke zu schaffen, weißt du. Probleme mit den Trägerkabeln, Korrosionen an den Oberbauten, Risse im Stahlbeton …«
»Noch ein Wort«, giftete Anna, »noch ein einziges verdammtes Wort, und ich lasse dich hier sitzen!«
»Du könntest von Malmö aus einen Flug nach Hamburg bekommen. Sturup Airport ist nicht weit.«
Anna schwieg und starrte mich nur an.
»Gut«, sagte sie schließlich, »ich nehme das als Quittung für das, was ich auf dem Schiff zu dir gesagt habe, aber jetzt reicht’s!«
Ich nickte. Der Wagen vor uns in der Schlange setzte sich in Bewegung, und ich folgte ihm. Als wir auf die mehr als drei Kilometer lange Rampenbrücke
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